Reisen ins Fleisch

Ich stehe vor der leeren Rezeption.
Wiederholt schlage ich die Klingel, bis eine dünne Stimme irgendwo ruft.
Dann erscheint eine alte Dame und bestätigt mir den Namen des Hostels, der nur koreanisch angeschrieben ist.
Sie fragt nach meinem Namen und ist nicht im Bilde über meine Reservierung.
Ich krame nach meinem Handy, um ihr die Reservierung zu zeigen, später nach meinem Reisepass.
Schweiß tropft von meiner Stirn, rinnt mir in die Brillen.
Hier hinter der Rauchglastüre ist es noch heißer als draußen und dazu etwas stickig.
Ich bin gerade einen guten Kilometer durch die obere Stadt heruntergegangen, weil mich die GoogleMap irregeführt hat. Mit voller Ausrüstung.
Dabei ist das Gehen mit dem Rucksack eine Erholung vom Kreuzweh, das ich mir bei irgendeiner Klimaanlage oder in einem Hotelbett geholt habe.
Davor bin ich eine Weile (mit derselben Ausrüstung) an der Bushaltestelle gestanden und habe mit dem Handy gekämpft, weil die Internetverbindung immer wieder verlorengegangen ist. Damit ich in den richtigen Bus steige.
Den bequemen Platz, den ich zwei Stationen lang genoss, verließ ich, als eine alte Frau mit krummem Rücken einstieg, um ihr Platz zu machen. Hier hätte ich aussteigen sollen. Als sie dann ausstieg, bedankte sie sich bei mir.
Davor war ich drei Stunden mit der Fähre gefahren, hatte einen Imbiß gegessen und auf dem Pullmannsitz ein wenig geschlafen. Erst spät habe ich die Ruheräume gesehen, deren Boden mit Teppich ausgelegt ist und wo die Leute durcheinander am Boden liegen und schlafen. Ich hatte das für Kabinen gehalten.
In Wando angekommen mit dem Intercitybus, hätte ich ein Taxi nehmen sollen zur Schiffsstation. Ich wollte aber die angegebene halbe Stunde gehen, nach dem langen Sitzen im Bus. Aber kaum jemand zeigte mir die Gehrichtung, und angeschrieben war es nicht auf Englisch. So fragte ich mich durch und stand an einer Kreuzung, wo ein Lieferwagen ein Geschäft belieferte. Der Inhaber zeigte mir die Richtung, sprach von einem Kilometer, wiederholte das einige Male. Ich stand dem Lieferanten im Weg, entschuldigte mich. Beim Hinausgehen zeigte mir der Lieferant den Leuchtturm am Berg. Dort müsse ich hin.
Dann stieg er ein und deutete mir, ebenfalls einzusteigen, und brachte mich zur Schiffsstation. Ich bedankte mich herzlich.
Die Busfahrt war komplikationsfrei, bis auf das eine Mal, eine halbe Stunde vor der Ankunft, als ich immer dringender aufs Klo musste. Ich hatte kaum Wasser getrunken, aber das wenige machte sich doch bemerkbar. Ich saß hinter dem Fahrer, und es muss mein geistiger Einfluss gewesen sein, dass er plötzlich von der Autobahn abfuhr und eine Station ansteuerte, wo niemand ein- noch ausstieg, und ich und mein Nachbar die Gelegenheit nutzten.
Mein Sitznachbar war ein verschmitzter kleiner alter Mann mit einem runden Gesicht, lederartiger Haut und einem Haarzopf, der mich an einen Indianer erinnerte. Bei der Abfahrt hatte er die Klappfunktion des elektrischen Klappstuhls ausgenutzt, war nach hinten gefallen und hatte mit den Beinen in der Luft gerudert. Die meisten Koreaner und Koreanerinnen erreichen mit den Füßen nicht den Boden und wirken im Bus wie Kinder, die mit den Füßen baumeln. Mein Nachbar hatte Kopfhörer mit und zappte sich durch die Angebote am Sitzplatz. Von der Seite sah ich auf seinem Bildschirm aber dasselbe wie am großen Flachbildschirm über dem Fahrer, nämlich den ganzen Vormittag dieselben drei, vier Szenen von Politikerreden und Versuchen von ihnen nacheilenden Journalisten und Journalistinnen, sie zu interviewen. Ich hielt zu der schönen Koreanerin, aber auch nach Stunden hatte sie ihn nicht eingeholt und bekam keine Antwort, bevor er in den Wagen stieg. Einmal in der Stunde war auch kurz der amerikanische Präsident zu sehen, erkennbar an den Staatsflaggen, aber nur als Standbild, und es schien mir zunächst sogar gezeichnet. Standbilder sind überhaupt die besten Politikerdarstellungen. Stattdessen sah man den ganzen Vormittag Moderatoren und Moderatorinnen abwechselnd das Gezeigte moderieren (der Ton war ausgeschaltet) und Experten in einem eigenen Bild besonnen Expertisen verlautbaren. Erst am Nachmittag war der amerikanische Präsident in Bewegung zu sehen, als er über einen grünen Rasen schritt und dann und wann nach links und rechts Verlautbarungen verkündete. Andererseits schienen sich der japanische und der koreanische Präsident begegnet zu sein, jedenfalls nach den Staatsflaggen.
In der großen Busstation von Busan hatte ich gefrühstückt, einen Knautschkuchen, aus der Zellophanverpackung herausgewickelt, und einen Amerikano, sie heißt der Kaffee hier, wenn es keinen Espresso gibt.
Denn mein Quartier in Busan hatte ich um sieben verlassen und war mit der Metro zur Busstation geeilt, denn es ist ja nicht ausgemacht, dass man immer gleich die richtige Linie findet, Gelegenheiten zur Verirrung gab es tatsächlich einige.
Und nun in Jeju-Do, nachdem ich durch einen langen Gang mit Blümchentapeten in mein Zimmer gelangt bin, mein Gepäck verstaut und die Klimaanlage eingeschaltet habe, auch in der Dusche war, auf einem hölzernen Podest stehend, und mich frisch bekleidet habe, hier in Jeju-Stadt habe ich nun gegen neun Abend gegessen: Gosari haejangguk, eine etwas scharfe Gemüsesuppe mit Pilzen, die wie Fleischstücke aussehen, brodelnd und dampfend serviert, zusammen mit den Schüsselchen für Beilagen und Reis. Am anderen Tisch war eine Familie, die laut etwas feierte, aber zugleich nahmen sie Anteil an meiner Bestellung, dolmetschten der Wirtin etwas oder reichten mir den Bieröffner herüber. Und als sie schon alle gegangen waren, die Wirtin und ihr Mann hinter ihnen aufräumten und ich nur mehr der einige Gast war und bereits auf koreanische Art den Rest der Suppe direkt aus der Schüssel schlürfte, erschien auf einmal ein Paar, suchte einen Platz und beriet über ihre Bestellung. Ich hielt sie für Italiener und trat dazu, erfuhr aber, dass sie Argentinier wären und, wie vermutet, gerade angekommen in der Stadt.
Fleisch war es, was sie bestellten, Kodari jjim, Fleisch von Fisch und Oktopos.
Die Insel Anfang und Ziel

weichensteller - 25. Aug, 15:33