Pilgern III: Fußweg und Atem

Meine persönlichen Pilgerreisen sind selten Massenereignisse gewesen. Kurz nach der Schule, in den ersten Studienjahren, bin ich schon nach Mariazell gegangen, in den kalten Ostertagen von Wien - Perchtoldsdorf über Ochsattel und Gscheid in drei Tagen, mit der Badener Studentengemeinde, unter der Leitung meines ehemaligen Religionslehrers und Studentenpfarrers. Da war manchmal auf den Bergen Schnee, da lag aber auch schon Frühlingswind auf den grauen erdigen Hangwiesen. Da lernte ich erstmals die modernen religiösen Lieder kennen, die mit Gitarre begleitet mehrstimmig gesungen wurden, da lernte ich viele junge, fröhliche und ernsthaft christliche Menschen kennen, ich sah fürsorgliche Umgangsformen und wurde freundschaftlich aufgenommen. Mehr als die Mariazeller Basilika selbst beeindruckte mich unsere Meßfeier, denn wir saßen vor dem Gnadenaltar im Altarraum auf dem Teppich, dicht nebeneinander, und sangen unsere Lieder. Das waren Erfahrungen meines jungen erwachsenen Lebens.

Jahre später bin ich, bereits als Seminarist, mit einem anderen Priester nach Lourdes gefahren. Die Busreise war für mich zuerst noch gewöhnungsbedürftig, das lange Sitzen. Aber Einsiedeln in der Schweiz, die Begegnung mit Klaus von der Flüe und, am nächsten Tag, mit dem Pfarrer von Ars, waren schon Herausforderungen. Es wurde auch nicht auf Frömmelei, sondern auf kritisches Erkennen Wert gelegt: Wer waren diese Heiligen wirklich, was hatten sie ihrer Zeit/ was unserer Zeit zu sagen? Die Erfahrung ihrer Lebensräume bei einem Spaziergang ermöglichte eine Vorstellung ihres Lebens und Denkens. Aber dann Bernadette in Nevers, im Kloster, wo sie gelebt hatte, wo sie, 35jährig, gestorben ist, wo wir zeitig in der Früh Messe feierten: als wäre sie dort immer noch umstritten, ihre Visionen angezweifelt, so unbekümmert schien das Klosterleben einen Bogen um uns zu machen – oder waren wir nur eine der vielen Pilgergruppen. Nach Lourdes zu las ich den Busreisenden stundenlang aus Franz Werfels Lied von Bernadette vor, was der Dichter in Erfüllung seiner Gelübde geschrieben hatte, nachdem er auf seiner abenteuerlichen Flucht vor den Nazis über die Pyrenäen gerettet wurde. In Lourdes selbst sahen wir das Cachote, in dem die Familie Soubirous armselig gelebt hatte, gingen am Fluß Gave de Pau, wo Bernadette Holz gesammelt hatte, und kamen zur Grotte Massabielle, wo ihr Maria erschienen war, die sich als unbefleckte Empfängnis vorgestellt hatte. Am Fackelumzug mit den vielen Menschen aus aller Welt nahmen wir teil, mir fielen die unzähligen Kranken auf, in der unterirdischen Basilika Pius X. feierten wir mit Tausenden mehrsprachig Gottesdienst – aber vor der Grotte zelebrierte unser Pfarrer für unsere Pilgergruppe.

Ich erinnere mich an eine Jugendwallfahrt nach Maria Loreto in Italien, auf die ich von ebendiesem Pfarrer und von der Wiener Kirchenzeitung gesandt wurde, um eine Reportage zu machen. Mit dem damaligen Wiener Weihbischof Schönborn ging es mit dem Bus, dann zu Fuß mit Scharen junger Menschen durch ein mittelalterliches Städtchen und über in der Hitze flimmernde Felder zum Feierort. Papst Johannes Paul II. feierte mit Zigtausend Jugendlichen bis spät in die Nacht, Pilgergruppen hatten Videos vorbereitet, es ging um Erkenntnis Gottes, um Ermutigung, um Begegnung der Menschen und Völker mit Jesus. Moderne religiöse Lieder, Videowalls, eine umsichtige Organisation und eine laue Nacht im Schlafsack unter freiem Himmel, das rahmte diese Erfahrung.

Aber als ich mit den eigenen Reisen begann, da setzte ich beide Arten von Wallfahrten fort, zu Fuß und als Fernreise. Meine erste Pilgerreise ins Heilige Land, einige Wochen nach meiner Priesterweihe. Die Tage in Jerusalem mit meinem Priesterfreund. Die Wanderungen am See Genesaret, am Berg der Seligpreisungen, auf den Berg Tabor. Die nächtliche Hitze in der Jugendherberge, die gemeinsamen Tage mit dem südafrikanischen Franziskaner in Tiberias, für den ich kochte und der mir Quartier gab, und das Streitgespräch mit dem griechisch-orthodoxen Popen in Kana. Das turbulente Straßenleben von Nazaret. Die schwüle Hitze in Haifa, der Blick vom Berg Karmel. Das Bad im Jordan unter Palmen. Die Erwachsenentaufe dort, mit dem im Wasser stehenden Priester und dem untergetauchten Täufling im weißen Kleid.
Der Tempelberg von Jerusalem mit seiner Widersprüchlichkeit, und der Ölberg gegenüber. Die zauberhaften Gassen der Altstadt, und die märchenhaft mächtigen Mauern. Die düstere Stille der frühmorgendlichen Grabeskirche mit den am Dach schlafenden äthiopischen Mönchen. Und dann die Wanderung nach Jericho. Stundenlang auf einem Sandweg allein durch die Wüste, mit einer Plastik-Wasserflasche. Das gastliche Georgskloster in der Felsspalte, der stille Weg durchs Wadi Qelt, dann die geballte Hitze der Jordansenke. Die enttäuschend wenigen Trümmer des uralten Jericho. Die abenteuerliche Fahrt ans Tote Meer, das seltsame Schwimmen ohne Tiefgang.
Das alles waren Ereignisse, die mich herausforderten. Mich einlesen und informieren. Entscheiden, was zu tun ist. Die Orte auf mich wirken lassen, die Stadtmauern, die Kirchen, die Stätten der Taten Jesu. Mit den Bibelworten auf der Zunge dieselben Wege gehen. Und dann die Botschaften empfangen. Manche Abweisung, manche überteuerte Forderung. Mancher durchschaute Trick. Aber auch unerwartete Geschenke. Unglaubliche Landschaften, sagenhafte Altstadtgassen. Und immer wieder gastfreundliche Menschen, die mich aufnahmen. Die ein Wort für mich hatten. Die mich leiteten. Und sehr viel Stille.

In einem anderen Sommer stand ich in der Basilika des heiligen Nikolaus, Bischof von Myra. Ich staunte über die gut erhaltene uralte Kirche, hatte aber auch zu tun, die Heiligkeit des Ortes zu wahren vor den trampelnden Besucherströmen. Als ich einmal auf eigene Faust durch die Wüste Sinai gekommen, den Gebel Musa bestieg, allein und in der Stille der Nacht, und am Gipfel schlafend dem Sonnenaufgang entgegenträumte, da weckte mich das Touristengetrampel kurz vor Sonnenaufgang, und kurz darauf war ich schon wieder allein, in umso größerer Stille. Ich habe damals im muslimischen Land alleine Messen gefeiert auf einer im Wüstensand ausgebreiteten Bastmatte, mit Wein aus der Plastikflasche, Fladenbrot und einem Metallbecher als Kelch. Die Stille war meine Kathedrale.

Wenn aber die heilige Stadt Rom das Ziel ist, das Grab des Apostels und die ehrwürdigen Kirchen: auch dann ist das Gehen, das Wandern mir die Hauptsache. Im Unterwegssein auf das Ziel ganz bei sich sein, im Tasten nach dem, was dich anspricht, ganz du selbst, und auf einmal sind es die uralten Kirchen San Clemente mit der Kellerkirche und dem Mitrasheiligtum oder Santa Maria in Cosmedin mit dem Presbyterium, Santa Sabina mit der geschnitzten Tür und dem Blick über die Stadt oder Santa Maria Maggiore mit den Mosaiken, die dir den Atem rauben und zurückschenken zugleich. Der Atem hat später noch gereicht für eine Oberstufenklasse, die ich von Wien dorthin führte, und eine Jugendgruppe aus Villach, die letzten Winter wandernd und zeichnend, lesend, spielend und staunend die Stadt erschloß.

Der Atem, den Assisi atmet, soll nächste Woche auch die Pilger beseelen, mit denen ich den heiligen Franz suchen gehe. Wieder bekamen sie Bücher zur Vorbereitung, wieder ist gerade nur Bahn und Quartier gebucht, muß sich alles andere unterwegs finden, im Gehen, Hören und Schauen.
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