Mittwoch, 18. Juli 2007

Das Land aus Stein

Ich habe ein Land gesehen, ganz und gar aus Stein. Wie die eiserne Stadt, wie die Betonstädte, die gläsernen Bauten, die Plastikmeere. Zuerst die Keilschrifttafeln, unterhalb der uratäischen Burg, wo mir vor Jahren meine Geldbörse gestohlen worden war mit dem Führerschein und der Bankomatkarte. Ich hatte die Inschriften studiert und den Rucksack ein paar Schritt weiter oben stehen lassen hinter dem Torbogen, ich war ja ganz allein im Gelände. Später, im Museumsgarten von Van, hatte ich die ersten Steinkreuze gesehen, armenisch, aber schon aus der Bronzezeit. Die Christen haben das Kreuz nicht erfunden, das Kreuz war zuerst da.
Doch das erste, das ich vielleicht von diesem Land wusste, war der heilige Berg in seiner MITTE. Nach diesem Berg hatte ich meinen Religionslehrer gefragt in der Volksschule, und er hatte es nicht gewusst zuerst, der Herr Kaplan hatte das Lied nicht gekannt von Noah und sich nicht für den Berg interessiert. Den steinernen Berg. Kaum Schnee auf seinem steilen Kratergipfel, jetzt im August. Auch Armenien ist wärmer geworden.
Aber als ich dann, wirklich im Land, die Chatsch`khare gesehen habe, wurde auch mir warm. Steinerne Kreuze, Monumente im ganzen Land. Immer im gleichen Format, hohe, schmale Steintafeln, der größte Teil von einem kunstvoll verzierten Kreuzrelief ausgefüllt, darunter eine Zeile mit einer Sonnenscheibe oder zwei weiteren Kreuzen, wie die der beiden Verbrecher links und rechts neben dem Heiland. Und Ornamente ringsum, manchmal auch eine biblische oder Heiligengeschichte. Aber der Geschichte, treuherzig von den Buchführern oder der Führerin im Museum zu Eriwan vorgetragen, misstraute ich. Das war nicht nur reine Demonstration des christlichen Glaubens. Wen hätte man in diesem christlichen Land überzeugen müssen, durch tausende Male. Vielleicht die Mongolen oder die Seldschuken. Ich halte die Steine für Transformationsmarken. Übersetzen das heidnische Sonnenkreuz ins Armenisch-Christliche. Und es hängt kein Christus dort. Es gibt keinen Kreuzweg in Armenien. Christus leidet nicht. Die Chatsch`khare wenden das Heidnische ins Christliche. Es sind Umwender, die sich beschwörend zur Sonne hinneigen. Das kann ein Stein, ein Steinmal. Als ich einmal den Hafner bestieg an einem Sommernachmittag, da war ich überrascht von unzähligen Steinmännchen am Gipfel, auf einer 3.000 Meter hohen Fläche, die man queren muss zum Gipfel hin, kleine Steintürme, wie Mahnmale, an einen Friedhof hatte ich nicht gedacht, es war eine Präsenz von etwas, etwas Ungenanntem, das fühlte ich und sah hinunter ins Salzburgische und auf der anderen Seite ins Kärntnerische zurück. Solche Male nun in der Ebene. Gewiss, bei uns stehen Gipfelkreuze, hässliche, aus Alublech sogar, wie Blitzableiter, weithin sichtbar. Aber dass Chatsch`khare Kreuze sind, siehst du nur aus der Nähe – wenn du davor stehst. Sie stehen an Straßen, an Wegen, Kreuzungen, auf Wiesen, vor Kirchen, Klöstern, manche sind in Klostermauern, helle Steinmale in dunklen Mauern, nach außen gewendet, oder auch nach innen, als wären es Grabplatten ohne Namen. Diese unzähligen Monumente im ganzen Land. Und keine zwei gleichen. Als müssten sie seit Jahrhunderten, Jahrtausenden armenischen Geist bekehren.
Vielleicht ist es derselbe Gedanke, der im Land die Steinhäuser gebiert. Alte, neue, sogar in den Städten: nicht Glas, nicht Aluminium, auch nicht Holz, niemals Lehm, kein einziger Ziegel, immer wird in Stein gebaut, braun, grau, grünlich, rötlich, der Stein. Oder vielleicht braucht man die Glut der Vulkane. Im sowjetischen Kino, in der Staatsoper, in der Philharmonie. In Banken, Wohnhäusern, Geschäften. Selbst Internet-Cafes, ob klimatisiert oder nicht. Die Kirchen sehen aus wie aus Bauklötzen zusammengefügt, mörtellos, fugenlos, geradlinig. Aber ich habe das als Täuschung erkannt. Innen sind sie rund wie eine Höhle. Derselbe Stein? Nein,
Und am Ende: ihre Ruinen fügen sich in die Berge ein, werden wieder zu Stein zurückverwandelt, man kann zuschaun, im Geröll, in den Trümmerhügeln noch einige Mauersteine, gerade noch erkennbar. Vielleicht ist Armenien nicht aus Ackerboden gemacht, sondern aus Fels, und geht dahin zurück. So ist ein Ende.

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Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.

2 Kor 16f

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