Montag, 1. September 2008

Flüchtlinge

Wie wirken diese lauten, vergnügungssüchtigen Menschen auf diesem Schiff neben der Geschichte der Eleni Gatzoyiannis, und der Geschichte dieses Landes, in dem nach den überstandenen Gräueln des zweiten Weltkriegs erst die Katastrophe des Bürgerkriegs zwischen Kommunisten und Faschisten begann, wo der Terror nicht von Besatzungssoldaten, sondern ideologisierten Landsleuten begangen wurde. Wo in wenigen Jahren jahrhundertealte Regeln des Zusammenlebens zerbrachen und Dorfgemeinschaften in Konzentrationslager verwandelt wurden, in denen die eigene Bevölkerung festgehalten wurde und denunzieren und hassen lernte.

Eine einfache Bauerngestalt wird gezeigt inmitten dieser unabsehbaren Vorgänge, und es fragt sich, aufgrund welcher Intuitionen es ein Mensch vermag, wo alle Orientierungen ganz auf den Kopf gestellt sind und jeder für sich ist, trotzdem nach einer Reihe wahnwitzig naiver Fehler im entscheidenden Moment auf atemberaubende Weise das Richtige zu tun, entgegen jede Wahrscheinlichkeit. Wenigstens dieser Mensch in seiner Größe.

Und die von den Illusionen Verführten landen in der Tristesse von Flüchtlingslagern im Ostblock, nachdem sie im plötzlich ausgerufenen Namen der Gleichheit aller Menschen Unterschiede erzeugten, von denen niemand zuvor wußte.

Es ist dieses Bild, wenn der Mensch den Menschen zu erschaffen beginnt. Wenn er, was geschaffen wurde, nun unter sein Maß zwingen will. Wie wir das heute tausendfach tun, und viel besser und ausgeklügelter als in jener Notsituation, von einer kämpfenden Minderheit aus. Heute schafft die Mehrheit um.

Dabei könnten wir uns ja auf einem Flüchtlingsschiff befinden. So viele Leiber, eng aneinander gedrückt an Deck und unter Deck, in jedem windgeschützten Winkel, überall musst du über sie hinwegsteigen, über ihre Habseligkeiten. Die hingeschnautzten Preise an den Snackbars sollen uns daran erinnern, dass wir nur gnadenhalber da sind, die knappen Vorräte an diesen trockenen Mehlspeisen, die langen Schlangen, die plärrenden, quengelnden Kinder. Mit winzigen Kleidern angetan, streitet man hier um die wenigen Plastiksessel oder um einen geschützten Liegeplatz unter der Stiege.

Und alle hoffen auf etwas Besseres, das danach kommt, auf das große Vergnügen oder auf eine neue Heimat, in der sie erwünscht und erwartet sind, wie auch immer.

Ich Schlafkaiser

Hab ich schon erzählt, welche Gabe des Schlafs ich habe?
Schon bei der Anreise, von Venedig nach Igoumeniza: Wie ein Himmelbett, diese Polsterbank gegenüber der Rezeption, im Stiegenhaus zwischen Deck 5 und Deck 6. Dass sie aus vier einzelnen Sitzen besteht, erinnert an die üblichen Sitzecken, und das grelle Neonlicht und das Stimmengewirr und Füßegetrappel, spannteppichgedämpft, sind solche Kleinigkeiten, mit denen jeder Fernsehschläfer auch zurechtkommen muss.

Das richtige Hotelzimmer, das ich dann in Igoumeniza bezog, genoss ich dagegen nur halb, wegen des Sonnenbrands am Bauch, der sich fortwährend beklagte, auf die Mittagssonne an Deck von mir nur schlecht vorbereitet gewesen zu sein.

Am Campingplatz in den Meteora-Gardens dagegen schlief ich bereits wie ein König. Die Matte auf der Erde, die Creme am Bauch dampfend, die Sterne verwundert und der Mond lachend über mir - noch. Denn in der nächsten Nacht, als ich sehen wollte, ob es noch runder ginge, wäre er auf beunruhigende Weise beinahe abhanden gekommen. In dem braunen Sack hätte er ersticken müssen, wenn ich nicht laut gerufen hätte und mich bei der Administration von Meteora-Camping beschwert. So ist doch noch ein Zipfel heraußen geblieben und hat noch genügend Luft bekommen, um sich langsam wieder herauszustrampeln - während ich vorsichtshalber meinen Schlafsack gar nicht mehr zuschloss. Damit waren auch die Himmelsvisionen eröffnet.

Die paar Stunden am Schiff von Piräus nach Patmos waren wir drei Propheten am Achterdeck, wo wir auf einer Holzpritsche lagerten. Ich schwöre, mindestens zwei (wenn nicht sogar drei) Stunden geschlafen zu haben, bevor ich Schlag zwei Uhr genau nach Plan erwachte, um die übrigen Propheten zu wecken, zusammenzupacken und um 1/2 3 das Schiff zu verlassen, das in Skala angelegt hatte. Ein bisschen enttäuscht war ich, weil das Johanneskloster nicht beleuchtet war, dafür aber standen die Leute vom Campingplatz mit einem Auto am Kai, und wir mussten nicht durch die Nacht tappen bis zur Meloi-Bucht. Kaum dort, in einer Koje im Schilf die Matten ausgerollt, und sofort darauf eingeschlafen wie andere nach einem langen Tag Schwerarbeit.

Nach einem heißen Tag des Wanderns durch Landschaften und Heiligtümer, zwischen stillem Meeresrauschen und dampfenden Touristenleibern, an dem ich mich unentwegt wunderte, warum uns Menschen sogar dieses Paradies verschlossen war, saß ich abends noch lange mit den beiden Franzosen, die auf die Apokalypse und unsere Hörsaalgespräche neugierig waren, bei einer Flasche Retsina. Gegen zwei Uhr nachts, als sie sich zu ihrem Zelt zurückzogen, holte ich mein Handtuch und ging hinunter zum Strand, um in der stillen Bucht zu schwimmen im wiedergekehrten Mondlicht und im Glitzern der bei jeder Bewegung aufglimmenden Meeresalgen. So liegen Kaiser nicht einmal, auf Ozeanen und Paradiesböden im Schilf versteckt, vor lauter Freude.

Die Nacht unserer Rückkehr auf festes Land war ganz anderer Art. Kein Schiff mehr frei diese Woche, nur noch bis zu einer anderen Insel, von der dann versprochen wurde, leicht nach Piräus kommen zu können - und das um 4 Uhr nachts. Gut, um drei kam jenes Schiff nach Piräus, das voll war - wir lagerten inzwischen gelassen am Kai. Viktor war mehrmals fragen hinaufgestiegen, ohne richtige Antwort. Dann, knapp vor vier, rief er uns und sagte, es wäre dasselbe Schiff!, und da sind wir noch über die Kippe gesprungen mit unseren Rucksäcken, während die Klappe schon hochgezogen wurde und die Fähre bereits Fahrt aufnahm. Der Auto-Offizier nahm uns in Empfang und mir den Pass ab, damit wir nur ja sicher auch in Syra wieder ausstiegen, denn ab da wäre das Schiff vollends überfüllt. Als wir dann um acht dort von Bord gingen (geschlafen im Stiegenhaus), stürmte ich sogleich ein Kartenbüro und erfuhr, dass alle regulären Schiff ausgebucht waren, rannte darauf zurück, trieb die Propheten nochmals aufs Schiff hinauf und machte dem Auto-Offizier Vorwürfe. Der sah mich kurz und wissend an, zuckte die Schultern und schickte mich zu seinem Chef, dem Disziplinar-Offizier, der uns drei kurzerhand packte und unter griechischen Verwünschungen über die zugehende Klappe hinaus auf den Kai beförderte, welcher Schwung ausreichte, um uns drei durch mehrere Gassen und Abzweigungen gleich zu zwei Kaffeehäusern zu befördern, wo wir erschöpft zweimal frühstückten, zuerst an einem Tischchen auf der Gasse, und danach in einem klimatisierten Lokal mit Toilette.

Der folgende Tag, an dem wir Nafplia, Argos, Mykene oder wenigstens Korinth hätten besuchen wollen, wurde dann übrigens ein wunderbar entspannter, denn die einzige im Führer genannte Sehenswürdigkeit, ein anonymes Bild von El Greco, fanden wir gar nicht. Nur zielloses Umherschlendern, nur schauen, horchen, grübeln, lesen.

Der größte Beweis meiner Schlafkünste erfolgte dann aber in der Nacht der Rückkehr aufs Land. Von den 2 Stunden mitternächtlicher Fahrt mit dem Schnellboot schlief ich nach Augenzeugenberichten mindestens 1 1/2 in einem bequemen Sitz mitten unter tausenden aufgeregten Passagieren. In Piräus steuerte ich die Propheten zur Busstation, nahm schließlich ein Taxi zur zentralen Busstation, und dort wollten wir warten auf die frühmorgendliche Fahrt nach Korinth. Zusammen mit einigen Obdachlosen, einer Schar herrenloser kläffender Köter und manchmal einem den Gehsteig fegenden unerkennbaren Wesen lagerten wir in der überaus hässlichen und trostlosen Bushalle, auf jeweils vier zusammenmontierten Schalensitzen aus Plastik. Obwohl deren tiefe Einbuchtungen sicherlich genau dies verhindern sollten, schlief ich nach objektiven Messungen mindestens drei Stunden, indem ich meinen aufgestellten Rucksack als Kopfstütze, den zusammengerollten Schlafsack jedoch als Tiefenausgleich unterm Kreuz verwendete, was bestimmt strafbar ist. Selbst im Bus nach Korinth legte ich noch eine Stunde drauf, war am Ziel aber so gelassen, dass wir am Zickzackweg durch die Stadt rechtzeitig auszusteigen verpassten und nochmals zurückfahren mussten: Rückkehr aus dem Schattenreich.

Gegen solche Erweise verdienen die zwei Nächte am Schiff bei der Heimreise gar keine Erwähnung mehr, weil erstens das vertraute Sofa meiner bereits harrte, und zweitens die dreißig jungen Slowenen, die morgens zustiegen und dann rundherum am Teppich lagerten, ohnehin den ganzen Tag verschliefen und erst am Abend wieder lustig wurden, sich aber bald, gut nachbarschaftlich, bewegen ließen, ihre Party in der Lounge fortzusetzen.

Wer sich aber auf olympische Wettkämpfe nicht einlassen möchte, soll mindestens auf die festen Böden verwiesen werden, über denen Nachthimmel sich spannen - wenn schon der Unterwelt nicht: wie denn sonst will man sich dem Himmel aussetzen mit seinen Zeichen
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2 Kor 16f

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