In den Schluchten des Balkan

Bis Mitternacht fliegen hier die Schwalben, sie haben ihre hungrige Brut genau ueber mir: ich sehe die weisse Brust, den schwarzen Kragen, das braeunliche Koepfchen, wahrscheinlich ein schwarzes Kaeppchen, das ist im Neonlicht der Bahnhofsveranda nicht so genau erkennbar/ aber die Flugpausen werden laenger/

ich habe auf den maechtigen Felsen, die das Tal des Lakatnik-Bahnhofes beherrschen, am spaeten Nachmittag noch Kletterer gesehen, sie haben sich von oben abgeseilt/ da waren Emilije & Vladimir, George & George schon im Zug nach Sofia, und ich hatte auf einer Haengebruecke mit auf Eisentraegern geschweissten knirschenden Blechplatten den Fluss ueberquert und von drueben die Bahnstrecke beobachtet/

die letzten Kilometer waren wir auf der Ladeflaeche eines uralten Lastwagen gesessen, juchzend vor Freude ueber das erleichterte Ende dieser gemeinsamen Tage und die warme Luft des Nachmittags/

Zigeuner sind Diebe, unehrlich und faul, und in Bulgarien machen sie nicht einmal melancholische oder feurige Zigeunermusik: darum war das auch kein Zigeunerfest, in das wir, muede und hungrig, hineingestolpert sind, sondern ein Dorffest ____ mitten in der Landschaft, mit mitgebrachtem Essen oder gegrillten Fleischbaellchen und Bier, und die grossen Attraktionen waren je ein Ritt auf einem knatternden Motorrad oder auf einem der stolzen Pferde, die beide im Morast des Festplatzes ihre Runden zogen und dann wieder, in der Mitte aufgereiht, von Gaffenden umstanden, auf weitere Ritte warteten. In diesem Fest haben wir einen Platz gefunden, haben gestaunt ueber die aufgeregten Burschen und Maedchen, alle hatten irgendetwas zu tun oder zu schauen, Emilie hat gemeint, es seien auch Jaeger dabei, weil es oefter geknallt hat/

wie haette ich diesen Weg finden koennen allein, ohne Sprache, ich haette bestimmt den allerersten eingeschlagen, der ueber alle Berge fuehrt, und nicht nur ueber 2 oder 3, den wir genommen haben, immerhin etliche Stunden lang, mit allem Gepaeck, aber ich habe verraten, dass der Wald und der von Blaettern ueberdachte ansteigende Weg, an steilen umzaeunten Weiden entlang, mich sehr an meine Heimat erinnert, und habe damit das Waldviertel gemeint, obwohl ich in Wien geboren bin/

die angepriesene Stille und Abgeschiedenheit des Klosters in den Bergen hatte mit der vorbeifuehrenden Strasse und dem benachbarten Gasthaus zu kaempfen, aber die paar Frauen, die sich um die Zimmervermietung kuemmerten oder in der Kirche Vortraege hielten mit lauter Stimme und einem Blick in die Ferne, aus der Zeit heraus: wahrten des Ortes Bestimmung und Lebendigkeit nach Kraeften/
aber diese jungen Menschen, mit denen ich da zu tun bekam: Emilie hatte schon Zuhause einen Vortrag ueber die Kirche vorbereitet, Vladimir hielt ihn und uebersetzte spontan alles fuer mich (habt ihr das schon einmal bei einem Studentenwochenende erlebt?), und alle hatten Proviant mit und teilten alles miteinander geschwisterlich auf diesem ihren Erholungswochenende, eine Ausflugsgruppe sozusagen, im Juli waren sie am Schwarzen Meer gewesen, Georgi trug noch die Zeichen auf der Haut, und die 4 hatten mich kurzerhand adoptiert, wir assen gemeinsam und bezogen den Schlafraum gemeinsam, den sie reserviert hatten, so natuerlich, als waere es ganz selbstverstaendlich, dass 4 Studenten und 1 ausgesetzt Reisender wie alte Freunde auftreten in den Balkanbergen/

das Erstaunlichste war wohl, dass sie alle hervorragend Deutsch oder Englisch sprachen und wir uns unterhalten konnten, als waeren wir uns in der Heimat begegnet/

und als die 4 frohlich schwatzend an mir vorbeitrabten, als ich wegen eines Fotos von den Gleisen im Tal am Strassenrand zu tun hatte, und ich sie spaeter einholte, als sie nun eine Holzbruecke ueber das Fluesschen fotographierten: war es, als haette sie der Himmel geschickt, so ploetzlich/

ich habe noch viele Zuege gesehen heut Nacht, Emilije, und haette mich noch inniger von euch verabschieden sollen, es ist ein bisschen foermlich geworden, wir waren alle erschrocken, was moeglich geworden war zwischen uns/

es war soviel Lachen diese Tage und soviel Ernst, Hinhoeren und Respekt, ja Respekt

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