Samstag, 16. August 2008

Ueber Abgruenden

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Warum wurden die Meteora-Kloester an diesen unmoeglichen Orten gebaut? Unten waere das grosse Tal gewesen mit 1000 zugaenglichen Orten, drueben das Pindar-Gebirge mit wirklicher Abgeschiedenheit. Stattdessen hier auf diesen nackten, welligen Felsen, sichtbar fuer jeden, der in dieses Seitental hineingeraet, zwischen die Truemmer. An der Spitze, also weithin zu sehen, aber ohne Aufgang.

Burgen wuerden zwar an exponierten Stellen, aber am Eingang des Durchzugstals errichtet, das sie kontrollieren sollen. Benediktinerkloester thronen auf Bergspitzen, aber sie sind als geistige Zentren im regen Austausch mit dem Umland.

Die Antwort scheint mir in den Strickleitern zu liegen, die hunderte Meter herabhingen, oder in den Seilaufzuegen.
Sich dem anvertrauen.
In einem Netz zusammengekauert, eine Stunde lang ueber dem rohen Abgrund pendeln. Von willigen Haenden Stueck um Stueck emporgezogen.
Das muss der Sinn dieser Lage sein: so ausgesetzt.
So angewiesen auf die Gnade.
Die Kraft der Haende, die Festigkeit des an der Rolle knarrenden Seils.
Das Schweben.
Ausgesetzt zwischen Himmel und Erde.
Vergessend, ob man unten oder oben zugehoerig sei, und wohin einer eher neige.
Auch die Neigung vergessend, im Warten.
Aber des Steigens gewahr.
Ruckweise, allmaehlich.
Von den Pendelbewegungen abgelenkt, die Felswaende oder Gestruepp bedrohlich nahe heranlassen.
So gestossen und gezogen wie ein ganzes Leben.
Mit solcher Erinnerung lebte dann ein Moench.
Entronnen, auf der Felsspitze?

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Das Bild von der Entschlafung des heiligen Nikolaus, zu dem wie auf einer Wallfahrt Kranke und Arme herangetrabt kommen (waehrend nach und nach der Kirchenvorraum sich fuellt, meine Nachbarin sich und mir fortgesetzt Luft zufaechelt mit einem roten Plastikfaecher, und ein Kundiger sich zu italienischen Erlaeuterungen anschickt), wird im Hintergrund gerahmt von einer welligen Huegellandschaft und dann ueberragt von Simon, dem Saeulenheiligen, der mit einem Strick einen Essenskorb hochzieht und ansonsten gefaellig ruht in seinem Heiligenschein.

Beobachtungen

So harmoniesuechtig sein, dass man die gefluechtete Katze wieder von den die Terrasse ueberspannenden Weinreben herunter locken moechte, waehrend der Hund unterm Tisch jault.


Ein am Strassenrand geparktes Auto, einige Erwachsene hantieren mit einem Plastiktoepfchen und scheinen ratlos, wie sie ihn saeubern sollen; die Frau sucht immer wieder, ihn ueber der Boeschung auszuschuetteln, schliesslich kommt einer mit einer Wasserflasche. Das Kind steht reglos mittendrin und sieht schweigend zu.


Gestern erschienen mir die Menschen, die am gegenueberliegenden Felsen so nah am Abgrund hantierten, bloss um des Bildes willen, als leichtsinnig und tollkuehn.
Heute war ich selbst dort, und wahrscheinlich gestern schon.
Auf diesen runden Felsbuckeln siehst du den Abgrund gar nicht, der sich unter dir oeffnet, du hast keinen Eindruck von der Ausgesetztheit, in der du dich befindest.

Donnerstag, 24. Juli 2008

Sehr geehrter Pfarrer Kopic!

Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich für die kompetente Führung durch die Stadt und auch für die Begegnungen mit den Menschen dieser Stadt. Es ist gut und beispielhaft für Europa, zu sehen, wie die Angehörigen dreier Religionen trotz des noch nicht allzulang zurückliegenden Krieges friedlich zusammen leben. Natürlich hat sich das Erscheinungsbild des moslemischen Lebens stark gewandelt. Aber ich denke, dass man von der Arroganz anderer islamischer Länder wie der Türkei gegenüber den Christen doch weit entfernt ist, jedenfalls, was die offizielle Administration betrifft.

Aber die Gleichbehandlung der Religionen ist doch eine Herausforderung und ein Balanceakt. So wird z.B. die katholische Kirche von Jugendlichen belagert und leider auch immer wieder verschmutzt, die Gottesdienstbesucher behindern und anpöbeln, während das vor der islamischen Moschee undenkbar wäre. Auch die Beschriftung der Domkirche ist leider noch immer fehlerhaft, was vor den vielen Touristen mit ihren Reiseführern peinlich sein muß.
Andererseits habe ich gesehen, dass in der Bibliothek in der islamischen Fakultät auch Bibeln vorhanden sind, wie ja auch der Koran selbstverständlich an der katholisch-theologischen Universität greifbar ist. Vielleicht sollte man auch dafür sorgen, dass es zeitgenössische Kommentare gibt, um den Studenten das vorurteilslose Herangehen an die andere Religion in ihrem heutigen Selbstverständnis zu ermöglichen.

Jedenfalls ist Sarajevo eine wunderbare Stadt mit reicher Kultur und Geschichte, und es ist zu hoffen, dass diese Tradition auch unter wechselnden Bedingungen weiterlebt.
Ich wünsche Dir, lieber Herr Pfarrer, weiterhin so guten Zugang zu den Menschen dieser Stadt, besonders den Blinden, und grüße herzlich Dich und all jene, die ich kennengelernt habe!

Kinder benützen die Stufen der Kathedrale

Mittwoch, 9. Juli 2008

Zur Transformation des Katholischen

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Wenn ich sonntags durch die Strassen meines Pfarrgebietes gehe, begegne ich vielen mir vom Sehen bekannte Menschen, im Cafe, mit dem Hund, beim Joggen, und sie alle haben es nicht eilig, in die Kirche zu kommen. Die koennen nicht alle evangelisch sein.

Der Pfarrer, der durch Sarajevo schreitet, trifft lauter Moslems, von denen er frueher dachte, dass sie ungebildet und im jugoslawischen Sinne saekular waeren. Stattdessen begegnen ihm heute urbane Akademiker, von denen sich viele wieder ihrer Religion besinnen, und sie bestimmen das Stadtleben; der Pfarrer mit seiner kleinen, ueberalterten Katholikenschar ist ins Hintertreffen geraten.

In beiden Gesellschaften ist das Christliche marginalisiert, einmal durch den jahrhundertelang aus der europaeischen Kultur erwachsenen, heute immer wieder intoleranten Saekularismus, in dem auch der Hass auf das Christentum artikulierbar wird - zum anderen durch die von der Nachkriegsordnung beguenstigte Dominanz der bosnischen Muslime mit ihrem importverstaerkten neuen religioesen Selbstbewusstsein.

Gleich ist uns beiden, dass es Zeit wird, mit der veraenderten Situation etwas anfangen zu koennen, statt die Entwicklungen zu ignorieren oder zu betrauern.
Man sollte sich den Anfang nicht aus der Hand nehmen lassen...

Montag, 26. Mai 2008

Die verhaltene Sprache Georgiens

Bakuriani, Georgien

Bakuriani

Bakuriani

İN DEN BERGEN lernten Data und ich, ohne Worte zu spielen. Wir schnitten Figuren aus Papier aus und spielten nach den Zeichentrickfilmen vom Vortag. Und Tamars Mutter hatte im Nu wieder all ihr Deutsch zurück aus Kindertagen.
Lachend und in großen Zügen atmend sind wir durch den Park von BAKURIANI gewandert, Mutter und Tochter voll Erinnerung an sowjetische Zeiten, das Kind - wie Tamar immer sagt - voll Bewegungsdrang.
Bakuriani, der mondäne Kurort aus der Zarenzeit, die angesiedelten Ukrainer haben Holzhäuser hinterlassen, und Schweine wühlen im Straßenrand, und Kühe, die mir kaum zum Nabel reichen, trotten über Wege heimwärts zur bestimmten Zeit, als kämen sie aus dem Gasthaus.
Ob man diese Vergangenheit los wird, wenn man sie verfallen lässt wie die Schilifte und rosten. Und was dann.



Inga Gabojan, Tbilissi, Georgien

INGA GABOJAN. Ihre Ahnen waren 1896 aus Kars geflohen, bevor die Jungtürken an die Macht kamen. Sie kamen nach Gümri im heutigen Armenien, gingen 1905 aber wieder zurück nach Kars. Urgroßvater Erzurumzi Arsumanjan war Priester, sein Name ist seit 1013 nachgewiesen. Die Urgroßmutter stammte aus einem Adelsgeschlecht, ihre Eltern waren Politiker. Im Jahre 1915 wurde in einer einzigen Pogromnacht die gesamte armenische Intelligenz ausgelöscht, 300.000 längst ausgewählte Menschen wurden mit Krummmessern ermordet. Am nächsten Tag begann die Massendeportation. Talaat Pascha forderte zum erbarmungslosen Massenmord auf. Heute wollen die Türken eher davon profitieren, wenn sie reiche Armenier im Lande haben. Damals gab es Hass gegen Reichtum und Christentum.
Inga spricht von 1,8 Millionen ermordeten türkischen Armeniern von insgesamt 2 Millionen.
Ihre Urgroßeltern hatten 10 Kinder. Urgroßmuter nahm auf der Flucht noch vier oder fünf fremde Kinder auf, adoptierte sie und nahm sie mit nach Gümri. Sie war reich und konnte sie alle versorgen, bis jedes einzelne verheiratet war. Später ging man nach Tbilissi, wo Urgroßvater als Priester in der Edschmiazinkirche arbeitete. Urgroßmutter wurde 99 Jahre alt.
Ihre Söhne dienten alle im 2. Weltkrieg in der Roten Armee. Ein Sohn kam als Kriegsgefangener nach Deutschland, wo er ins KZ gebracht wurde – Inga weiß nicht, in welches. Urgroßmutter hatte intensiv gebetet. Alle anderen dienten bis Kriegsende, kamen zurück und wurden sehr alt.
Großmutter heiratete einen reichen Fabrikanten aus Eriwan. Dessen Vater und Onkel waren 1917 reich von Frankreich zurückgekommen und überlebten versteckt. Später waren sie nach Tbilissi geflüchtet, die Kinder wurden bereits dort geboren. Ingas Mutter wurde 1942 geboren. Während der Stalin-Repressionen überlebte sie versteckt. Später gründete die Familie eine Fabrik.
Ingas Großmutter hatte sich an die Flucht aus Kars erinnern können, die sie als Kind miterlebte. Damals schor man die Frauen kahl, bemalte sie schwarz und zog ihnen Männerkleider an, um sie zu schützen. Rosenberg hat die faschistischen Methoden beschrieben, die Deutsche und Türken gemeinsam anwendeten. Bevor man Menschen in Gaskammern ermordete, brachte man sie in der Türkei um durch Ersticken im Rauch von Strohfeuern. Österreich und Schweiz hatten für Armenien Partei ergriffen, später protestierte Österreich dagegen, die Türkei in die UNO aufzunehmen, gemeinsam mit Papst Benedikt!
Inga ist stolz, dass Armenier das Christentum nicht aufgegeben haben. Auch die, die flüchten konnten, haben gut gearbeitet und im Exil wieder eine Existenz aufgebaut. Inga sagt: Gott quält, die er liebt. Die Juden, und die Armenier. Dass sie wieder aufgekommen sind, liegt an ihrem treuen Gebet.
Nach dem Krieg warteten die Armenier auf internationale Reaktionen auf den Genozid, und als nichts kam, begannen Racheaktionen gegen türkische Beamte. Andere kritisierten Racheaktionen. Die Juden haben die USA als Schutzmacht, und die Armenier? Haben Gott, sagt Inga. Gott wollte ihre Auslöschung nicht, darum lebten sie wieder auf und sind zahlreich und erfolgreich. Jetzt ist Inga arbeitslos wie viele in Georgien.
In der UdSSR war der Genozid ein Tabuthema. Man wollte einen Dokumentarfilm machen, aber Moskau lehnte ab. Und so passierte die Geschichte nocheinmal in Berg Karabach. Aseris überfielen Krankenhäuser und massakrierten Armenier, es gab Pogrome 1991, als nach dem Zerfall der UdSSR die Staaten neu erstanden. Aber Armenier wurden auch aufgenommen und von Nachbarn beschützt.
Inga war katholisch geworden: In der Sowjetzeit war Religion unterdrückt. Später war sie in die Edschmiazin-Kirche in Tbilissi gegangen, die Kirche ihres Urgroßvaters. Aber die Georgier schickten sie weg, die einzige Kirche, die sie aufnahm, war die katholische. Ihre älteste Tochter ministriert seit sieben Jahren. Es war ihre eigene Entscheidung. Die katholische Kirche arbeitet hier in Tbilissi sehr erfolgreich. Es gibt eine Caritas, und die Schwestern der Mutter Theresa engagieren sich sehr für die kleinen Leute. Vor zwölf Jahren wurde Inga katholisch. Sie studierte ein Jahr lang die Bibel, dann konvertierte sie. Zuvor war sie armenisch-gregorianisch gewesen, und sie akzeptiert den Vorwurf der russisch-orthodoxen Kirche nicht, der Papst werbe Proselyten, denn sie wurde nicht abgeworben. Die orthodoxe Kirche bemühe sich nicht um das Verständnis der Menschen, sondern feiere zunehmend unverständliche Rituale. Die katholische Kirche lege dagegen auf das eigene Verstehen wert.
Inga freut sich, dass Armenier nicht durch Kriege berühmt wurden, sondern durch geistige Leistungen. Stolz zählt sie berühmte Wissenschaftler und Kulturträger aus aller Welt auf, wie Gregory Peck, der Nasar Bekian geheißen hat, Charles Aznavour, Andri Vernei, Michel Uganiani oder Herbert von Karajan.

*

WAN BAYBURT, Abgeordneter des georgischen Parlaments, kommt gerade von einer Reise in die Türkei zurück und hat Neuigkeiten erfahren. Die Armenier würden nicht zurückbekommen, was sie verloren haben. Und die Türkei gebe den Wunsch auf, in die EU aufgenommen zu werden. Die türkische Wirtschaft sei auf die USA hin orientiert, die Politik würde sich nach den USA richten. Früher oder später würde die Türkei aber den Genozid anerkennen müssen.
Bayburt war gerade in Kars, Van und Baybaschi. Die Türken hätten ihn immer gefragt: Sind Sie zurückgekommen, um ihr Gold auszugraben? Die Türken seien jetzt freundlich zu ihm, obwohl sie nicht wussten, dass er Abgeordneter im georgischen Parlament ist. Akdamar wird jetzt von den Türken renoviert, von einem Professor der Universität in Ankara. Bayburt hat von dort den armenischen Patriarchen in Edschmiazin angerufen.Er hat das Haus seiner Mutter in Van, und das seines Vaters in Bitlis, seines Großvaters in Bayburt gefunden. Er hat die Rückseite des Ararat gesehen. Am Berg ist eine türkische Militärbasis: er hatte von Eriwan immer ein starkes Licht gesehen am Berg. Man werde den Genozid anerkennen müssen, man brauche Geduld und Mut. Auf meine Nachfrage nach dem unbelehrbaren armenischen Optimismus trotz unzähliger Enttäuschungen meint er: Wir sind wie ein Haus, das aus Beton herauswächst. Die Armenier werden im Widerstand kräftiger.
In Georgien gibt es 500.000 Armenier mit eigenen, staatlich finanzierten Schulen, eigenen Zeitungen, Theater, Fernsehen und Radio, und im georgischen Radio sind regelmäßige armenische Sendungen. An der Universität ist eine armenische Abteilung. Georgien hat den Genozid noch nicht anerkannt, es sind erst 23 Staaten, die ihn anerkennen. Wenn die USA den Völkermord an den Armeniern anerkennen, wird sich Georgien am folgenden Tag anschließen, ist Bayburt überzeugt. Atiom Organanijan ist Lektor der Universität Wien und beim ORF tätig. Er versuche, das Thema lancieren.
Die Zukunft Armeniens? Das sei schwierig, weil der Weg nach Westen nur durch Georgien führt. Die Türkei müsste kompromissbereiter sein, aber auch Armenien. Die Beziehungen zu Russland sollten verbessert werden, Armenien könne eine Plattform für Russland im Kaukasus sein. Armenien produziert vieles selbst, etwa 50 % der Produktion in der Sowjetzeit, das wäre weit mehr als in Georgien, wo die Industrie sich nach der Befreiung noch nicht erholt habe. Armenien wolle zur Nato, wie auch Georgien. Die Nato habe aber der Türkei gegen Zypern geholfen, sie vertrete keine christlichen Werte, nur pragmatische Interessen. Die Beziehungen zum Iran? Im 5. Jht. konnten Byzanz und Persien Georgien und Armenien nicht erobern, sie teilten die beiden Länder unter sich auf. Jetzt versuchten die Türkei und Russland dasselbe. Armenien und Georgien seien die christlichen Bastionen vor Europa – wenn sie fallen, sei der Islam in Europa.

Wan Bayburt, Tbilissi, Georgien

*


ÜBER TBILISSI. Wo gibt es das: Dass ein kleines Grüpplein von Eigensinnigen seinen Weg bahnt durch die Monumente, Baustellen und Buckelpisten, Kirchen und Museen studiert und des aufgeregten Austauschs nicht müde wird, all die Hoffnungen und Enttäuschungen dieses Landes, von allen Seiten betrachtet. Auch von oben, wo Zigarettenmarken mit westlichen Gesichtern werben. Von den Anhöhen, die die Stadt umgeben, von den Holzhäusern des Volkskundemuseums, oder aus einer stillen Gasse beim Fluss mit dem unaussprechlichen Namen, die vormittags noch zu schlafen beliebt. Aus den Kirchentoren, aus dem Fenster des gelben Fiat. Im Cafe an einem der belebten Plätze wird eine Armenierin erwartet, die ihre Geschichte angekündigt hat, von der Urgroßmutter, die all die schreckliche Zeit erlebt hat in Kars, schon 1896, und 1916 noch einmal. Die ihre zehn Kinder mitgenommen hat auf der Flucht, und noch vier oder fünf fremde, um sie alle zu retten. Und die sie alle untergebracht hatte in Berufen und gegründeten Familien, und die noch 99 Jahre alt geworden war. Da erstand, als sie erzählte, ein Bild von Größe und Kraft, und nicht Klagen, worauf ich gefasst gewesen wäre, im Geiste stark, und sie zählte auf all die Musiker, die Dichter und Schauspieler, die Armenien der Welt geschenkt hatte, Gregory Peck, der Nasar Bekian geheißen hatte, oder Charles Aznavour. Es war kein Bild für die Augen, keine Größe, die einmal fertig ist, oder die sich in dem oder dem manifestiert: kein Reichtum, auf der Not anderer gebaut, keine politische Hegenomie. Die Größe der Armenier schien geschrieben in Glaube und Arbeit.
Und so waren jene Tage in Tbilissi, dass gerade, als ein Hauch jener Größe uns in der staubigen Hitze Ermatteten zu erfrischen begonnen hätte, Inga aufsprang und aufgeregt auf einen älteren Mann hinwies, der hinter uns sich anschickte, eine Zeitung zu kaufen. Scheu sprach sie ihn an und führte stolz Van Baiburt an unser Tischchen, den armenischen Abgeordneten im georgischen Parlament! Er, von dem sie schon erzählt hatten, er wäre an einem bestimmten Datum während der Parlamentssitzung aufgestanden und habe gesagt, heute sei der Jahrestag des großen Pogroms an den Armeniern, und alle Parlamentarier hätten sich zu einer Gedenkminute erhoben. Er, dessen Zeitungsartikel mit Spannung erwartet würden. Er war gerade von einer Reise in die Türkei zurückgekommen und habe die Geburtshäuser seiner Eltern besucht, zum ersten Mal. Er blätterte in der eben gekauften Zeitung den Bericht dieser Reise auf, mit Fotos von ihm, von Landschaften und Häusern. Denn es war so: Während ich erschüttert in den Ruinen der armenischen Kirche gestanden war inmitten von Diarbakir oder den christlichen Stadtteil von Urfa, Edessa vermisst hatte zwischen dem kurdischen, arabischen und türkischen, da war er bereits in der Hoffnung unterwegs gewesen, was heute schon möglich wäre. Die Türken wären es, erzählt er mit verschmitztem Blick, die heute die armenischen Fresken in Akdamar renovierten, sodass er beinahe nicht hineingelassen worden wäre. Eine erlittene Größe, keine erzwungene. Hatte nicht Inga Tränen in den Augen gehabt, als ich von dem Ultimatum Europas an die Türkei erzählte, bis Jahresende Zypern anzuerkennen und die Armeniergräuel, dass sie das noch erlebe, ein Hoffnungsschimmer, den Bayburt jedoch sogleich wieder abschwächte, denn er habe gehört, Europa sei keine dringende Option mehr für die Türkei.
Wieder hat das Wesentliche durch die Tür gelugt, schon zuvor am Ufer des grünen verschmutzten Flusses mit dem unaussprechlichen Namen, als nämlich von drüben auf einer Felswand thronend die Metekhi-Kirche herunterlächelte, besonders, weil meine Begleiter allein gar nicht in diese touristische Vergnügungsmeile hineingegangen wären, sich aber dann doch zu einem Eiscafe überreden ließen, und dann wieder, als wir einer georgischen, der Zionskirche verwiesen wurden von einer Mesnerin, wegen Tamars nackter Schultern, und sodann zwei gerade schließende Museen besuchen wollten. Aber als die armenische Geschichte in der georgischen Hauptstadt einen Ruck machte an unserem Kaffeehaustisch, zu dem die misstrauische Kellnerin immer wieder versteckt hinüberlugte, da hat es einen Fuß in die Tür gestellt. Soviel Ereignis an einem Tag. Als dann noch Inga begeistert mir erzählte von ihrer Konversation zum Katholizismus, der ihr Freiheit und menschlich Angenommensein brachte. Und von den Kindern, die seit sieben Jahren ministrierten und nun schon die Alba tragen dürften. Als sie hörte von meinem Plan, ihre Geschichte zu veröffentlichen. Oder von der Geschichte des armenischen Komponisten in meiner Heimat, der die Christi Himmelfahrtsmesse komponieren würde. Da stürmte es in unseren Ohren, rutschten wir in unseren Stühlen, konnten selbst im engen stickigen Auto noch nicht zu reden aufhören, und niemand hatte daran gedacht, ein Fenster zu öffnen. Das Wesen als Anteilnahme. Dass da einer kommt vom Westen, um ihre Geschichte anzuhören. Dass ein Interesse ist, dass man wissen will, was war. Die Anteilnahme wie ein Erdbeben: Die Anerkennung der Wirklichkeit, die stattgefunden hat, würde Millionen Lebenden und Toten ihre Existenz zurückgeben. Und wie ich nun begriff, dass Anteilnahme ein zuinnerst christliches Ereignis war, wir, Getaufte auf den Gott, der an der Menschenwelt sosehr Anteil nimmt, dass er sich ihr ausliefert auf Leben und Tod, könnten unmöglich das Weltgeschehen teilnahmslos sich selbst überlassen wie bisher, Anteilnahme schaffe Leben, plötzlich hatte ich es vor Augen und wusste auf einmal, warum ich mich daheim abmühte für das bisschen Interesse. Anderes gibt es nicht. Bleib unberührt und lass es dir gut gehen, wenn du kannst. Aber es wird dir stecken bleiben. Das Wesentliche ist bereits zu weit vorgedrungen, es ist unwiderrufbar eingetreten und hat sich festgemacht. Also. Diese Antwort auf die Frage nach dem Wesen. Ob wohl Thales und Heraklit das zugeben würden. Anteilnahme als Wesen, Prinzip und Urgrund der Welt. Anaximander vielleicht eher, er redet vom Unbegrenzten, vom Unbeschränkten als Ursprung der Dinge, nicht mehr Feuer, Wasser, aber gleichwohl von den Gegensätzen, die ein Nichtbegrenztes voraussetzten: ihr Prinzip und Ursprung. Nur haben sie noch nicht personal gedacht.




Zum Genozid an den Armeniern in der Türkei:
http://www.kath-kirche-kaernten.at/pages/pfarre.asp?id=714&pageid=7554
http://www.kath-kirche-kaernten.at/upload/31142_Minderheiten%20in%20der%20Türkei%2001.pdf

Dienstag, 19. Februar 2008

Assisi, intensive Kirche



Rathausplatz, Minervatempel

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Denkt nicht, Francesco wäre immer gern unter Menschen gewesen - bloß weil Franziskaner so gesellig sind. Auf dem Monte Subasio zog er sich gern zurück nach Eremo dele Carceri, mitten im Wald.
Das Bild, dort zusammen mit einigen Gefährten herumzulungern und große Fragen zu erörtern, in der lauen Unbeschwertheit des italienischen Frühlings, ist mir eines der einprägsamsten des Ortes - wohl auch wegen meiner eigenen Sehnsucht....



Eremo-dele-Carceri

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RIVOTORTO, Kirche in der Kirche

Vielleich ein Sinnbild fuer das, was uns Pilgern hier in Assisi begegnet: Eine intensive, radikale Glaeubigkeit, aber in solcher Natuerlichkeit gelebt, dass es die Welt gar nicht richtig wahrhaben wollte - doch ohne es zu bemerken, wurde sie von innen her veraendert.
In dieser einfachen Steinhuette von Rivotorto hatten die ersten Minderbrueder mit Franziskus gehaust, drei Jahre lang. Es ist unterhalb der Stadt, dort, wo das Gesindel haust. Rivotorto kann fuer die Armut und Einfachheit stehen, die Franziskus als einen Weg zum Evangelium erkannt hatte: denn du kannst die Wahrheit Jesu schwer finden inmitten von Ungerechtigkeit und Ueberfluss. Rivotorto mag heissen: Gott sorgt fuer dich, viel mehr und besser, als du selbst es koenntest.

Rivotorto

Rivotorto1



S. CHIARA, Frau der neuen Kirche

Auch sie aus reichem, vornehmen Haus, gelangweilt und mit ungestillter Sehnsucht: da hoerte sie Franziscus predigen und war getroffen von der Kraft seiner Botschaft. In der Nacht von Zuhause gefluechtet, hatte auch sie alles auf eine Karte gesetzt und sich auf ein Leben in Armut eingelassen. Fuer sie gruendete Franziskus den Zweiten Orden, die Schwesterngemeinschaft, die sich ebensoschnell in ganz Europa verbreitete wie die der Minderbrueder.
Nachdem sie fuer einige Jahre nebeneinander bestattet worden waren, sind heute ihre beiden Kirchen mit den Grabstaetten an den gegenueberliegenden Enden von Assisi, als sollte das ganze kirchliche und alltaegliche Leben zwischen ihnen aufgespannt werden wie auf einer Waescheleine.

S. Chiara

Freitag, 8. Februar 2008

Pilgern I: Der Papst in Mariazell

Am Fest zu Mariä Geburt am 8. September 2007 feierte Papst Benedikt XVI. in Mariazell mit Pilgern und Vertretern aus Politik und Gesellschaft, vom Klerus und von Laienorganisationen sowie von allen Pfarren Österreichs eine heilige Messe.
Bei der Predigt sprach er vom Pilgern an diesen Ort seit 850 Jahren und von der Pilgerschaft der Gläubigen seit den Tagen Jerusalems. Von Abraham führe ein Pilgerweg bis zu Jesus, sagt der Papst den tausenden Pilgern, und nennt damit das Ziel der Pilgerfahrt: Jesus begegnen im Heiligtum, im Weg dorthin, in den Umwegen, im Aufbruch vom gewöhnlichen Leben.
Am Anfang des Pilgerns stehe das unruhige Herz. Das Ungenügen mit der zu kleinen Welt des täglichen Lebens, die Ahnung eines anderen. Der Papst nennt das unruhige, offene Herz den Ursprung des Pilgerns, seit Abraham. Das Nichtbegnügen mit dem, was alle tun und denken. Das Wissen um die Einzigkeit des Gottes, der uns sein Antlitz zuwendet, und die Sehnsucht nach seiner Nähe.
Der Papst schaut auf das Gnadenbild von Mariazell und sieht das Jesuskind im Arm seiner Mutter, und er spricht von der Sehnsucht nach dieser innigen, umschlungenen Nähe. Aber auch das Bild des Gekreuzigten über dem Hochaltar zeigt denselben Jesus, der nicht mit weltlicher Macht, sondern in demütiger Liebe uns erlöst hat, und diese Liebe uns zeigt und schenkt.

Benedikt XVI. ist ein Papst des scharfen, klaren Denkens. Unerschrocken widerspricht er den Relativierungen des modernen Denkens und weist auf die eine Wahrheit hin, die uns in Gottes Offenbarung unwiderruflich gegeben ist. Aus der Erfahrung der kontingenten Welt folgt die Notwendigkeit eines souveränen Gottes, aus der Erfahrung der Zerrissenheit die Notwendigkeit der Einheit, so lehrten schon die Griechen. Der Papst appelliert an den klaren Verstand und das schlußfolgernde Denken. – Aber Pilgern ist doch ganz anders!
Wer Tag für Tag unterwegs ist, zu immer unbekannten Orten hin, aufmerksam für die Zeichen am Weg oder versunken in die eigenen Fragen und Sorgen: der denkt anders. Pilgerndes Denken ist assoziativ, verschlungen mäandernd, zuweilen labyrinthisch. Manchmal spontan einsichtig, wenn während des gleichförmigen Gehens unter der Oberfläche zusammengehörige Dinge zusammengefunden haben: dann schreckst du auf. Aber es gibt auch die Strecken der Langeweile, der Mühen, der Unsicherheit, die Zeiten, wo man ringt um Orientierung, wo Tasten ist und Fragen und Ringen, und dann oft ein versuchter Weg ohne Gewißheit, nur auf Probe. Wer sich geführt weiß, der meist erst im Nachhinein, erst hinterher zeigt sich der Sinn der Umwege, vom erreichten Ziel aus. Ergriffen ist der Pilger immer wieder, durch eine Begegnung unterwegs, durch eine Erkenntnis, vielleicht auch durch die Schönheit des Ziels, das er dann doch erreicht hat. Er-griffen und be-rührt.

Pilgern II: Kärntner Wallfahrten

Seit September 2005 wird der Hemma-Pilgerweg wieder neu begangen von Crna über Bleiburg, Völkermarkt, Diex, Eberstein, Guttaring, Friesach nach Gurk. Kärntner Zubringer zum Jakobsweg gehen von Lavamünd über St. Jakob im R. durch Villach St. Jakob nach St. Jakob ob Ferndorf und über Berg i.Dr. weiter nach Lienz. Sehr traditionelle Wallfahrten gehen nach Maria Luschari oder nach Brezje (Maria Hilf). Aber auch Heiligenblut, Maria Luggau, Maria Wörth, Maria Saal, Hemmaberg, Maria Loretto und Maria Rain sind bekannte Wallfahrtsorte. An 36 feststehenden Tagen im Jahr sind Wallfahrten zu bestimmten Orten in Kärnten bekannt, 25 bewegliche Feste sind Anlaß für Wallfahrten, 10 Wallfahrten verdanken sich einer wundersamen Rettung vor schweren Krankheiten und Seuchen. 40 Marienwallfahrtsorte in Kärnten bieten Monatswallfahrten oder andere Zuflüchte. Nicht zu vergessen sind der Vierbergelauf sowie die jährliche Dreiländerwallfahrt mit wechselnden Zielen in Slowenien, Friaul und Kärnten.

Pilgern III: Fußweg und Atem

Meine persönlichen Pilgerreisen sind selten Massenereignisse gewesen. Kurz nach der Schule, in den ersten Studienjahren, bin ich schon nach Mariazell gegangen, in den kalten Ostertagen von Wien - Perchtoldsdorf über Ochsattel und Gscheid in drei Tagen, mit der Badener Studentengemeinde, unter der Leitung meines ehemaligen Religionslehrers und Studentenpfarrers. Da war manchmal auf den Bergen Schnee, da lag aber auch schon Frühlingswind auf den grauen erdigen Hangwiesen. Da lernte ich erstmals die modernen religiösen Lieder kennen, die mit Gitarre begleitet mehrstimmig gesungen wurden, da lernte ich viele junge, fröhliche und ernsthaft christliche Menschen kennen, ich sah fürsorgliche Umgangsformen und wurde freundschaftlich aufgenommen. Mehr als die Mariazeller Basilika selbst beeindruckte mich unsere Meßfeier, denn wir saßen vor dem Gnadenaltar im Altarraum auf dem Teppich, dicht nebeneinander, und sangen unsere Lieder. Das waren Erfahrungen meines jungen erwachsenen Lebens.

Jahre später bin ich, bereits als Seminarist, mit einem anderen Priester nach Lourdes gefahren. Die Busreise war für mich zuerst noch gewöhnungsbedürftig, das lange Sitzen. Aber Einsiedeln in der Schweiz, die Begegnung mit Klaus von der Flüe und, am nächsten Tag, mit dem Pfarrer von Ars, waren schon Herausforderungen. Es wurde auch nicht auf Frömmelei, sondern auf kritisches Erkennen Wert gelegt: Wer waren diese Heiligen wirklich, was hatten sie ihrer Zeit/ was unserer Zeit zu sagen? Die Erfahrung ihrer Lebensräume bei einem Spaziergang ermöglichte eine Vorstellung ihres Lebens und Denkens. Aber dann Bernadette in Nevers, im Kloster, wo sie gelebt hatte, wo sie, 35jährig, gestorben ist, wo wir zeitig in der Früh Messe feierten: als wäre sie dort immer noch umstritten, ihre Visionen angezweifelt, so unbekümmert schien das Klosterleben einen Bogen um uns zu machen – oder waren wir nur eine der vielen Pilgergruppen. Nach Lourdes zu las ich den Busreisenden stundenlang aus Franz Werfels Lied von Bernadette vor, was der Dichter in Erfüllung seiner Gelübde geschrieben hatte, nachdem er auf seiner abenteuerlichen Flucht vor den Nazis über die Pyrenäen gerettet wurde. In Lourdes selbst sahen wir das Cachote, in dem die Familie Soubirous armselig gelebt hatte, gingen am Fluß Gave de Pau, wo Bernadette Holz gesammelt hatte, und kamen zur Grotte Massabielle, wo ihr Maria erschienen war, die sich als unbefleckte Empfängnis vorgestellt hatte. Am Fackelumzug mit den vielen Menschen aus aller Welt nahmen wir teil, mir fielen die unzähligen Kranken auf, in der unterirdischen Basilika Pius X. feierten wir mit Tausenden mehrsprachig Gottesdienst – aber vor der Grotte zelebrierte unser Pfarrer für unsere Pilgergruppe.

Ich erinnere mich an eine Jugendwallfahrt nach Maria Loreto in Italien, auf die ich von ebendiesem Pfarrer und von der Wiener Kirchenzeitung gesandt wurde, um eine Reportage zu machen. Mit dem damaligen Wiener Weihbischof Schönborn ging es mit dem Bus, dann zu Fuß mit Scharen junger Menschen durch ein mittelalterliches Städtchen und über in der Hitze flimmernde Felder zum Feierort. Papst Johannes Paul II. feierte mit Zigtausend Jugendlichen bis spät in die Nacht, Pilgergruppen hatten Videos vorbereitet, es ging um Erkenntnis Gottes, um Ermutigung, um Begegnung der Menschen und Völker mit Jesus. Moderne religiöse Lieder, Videowalls, eine umsichtige Organisation und eine laue Nacht im Schlafsack unter freiem Himmel, das rahmte diese Erfahrung.

Aber als ich mit den eigenen Reisen begann, da setzte ich beide Arten von Wallfahrten fort, zu Fuß und als Fernreise. Meine erste Pilgerreise ins Heilige Land, einige Wochen nach meiner Priesterweihe. Die Tage in Jerusalem mit meinem Priesterfreund. Die Wanderungen am See Genesaret, am Berg der Seligpreisungen, auf den Berg Tabor. Die nächtliche Hitze in der Jugendherberge, die gemeinsamen Tage mit dem südafrikanischen Franziskaner in Tiberias, für den ich kochte und der mir Quartier gab, und das Streitgespräch mit dem griechisch-orthodoxen Popen in Kana. Das turbulente Straßenleben von Nazaret. Die schwüle Hitze in Haifa, der Blick vom Berg Karmel. Das Bad im Jordan unter Palmen. Die Erwachsenentaufe dort, mit dem im Wasser stehenden Priester und dem untergetauchten Täufling im weißen Kleid.
Der Tempelberg von Jerusalem mit seiner Widersprüchlichkeit, und der Ölberg gegenüber. Die zauberhaften Gassen der Altstadt, und die märchenhaft mächtigen Mauern. Die düstere Stille der frühmorgendlichen Grabeskirche mit den am Dach schlafenden äthiopischen Mönchen. Und dann die Wanderung nach Jericho. Stundenlang auf einem Sandweg allein durch die Wüste, mit einer Plastik-Wasserflasche. Das gastliche Georgskloster in der Felsspalte, der stille Weg durchs Wadi Qelt, dann die geballte Hitze der Jordansenke. Die enttäuschend wenigen Trümmer des uralten Jericho. Die abenteuerliche Fahrt ans Tote Meer, das seltsame Schwimmen ohne Tiefgang.
Das alles waren Ereignisse, die mich herausforderten. Mich einlesen und informieren. Entscheiden, was zu tun ist. Die Orte auf mich wirken lassen, die Stadtmauern, die Kirchen, die Stätten der Taten Jesu. Mit den Bibelworten auf der Zunge dieselben Wege gehen. Und dann die Botschaften empfangen. Manche Abweisung, manche überteuerte Forderung. Mancher durchschaute Trick. Aber auch unerwartete Geschenke. Unglaubliche Landschaften, sagenhafte Altstadtgassen. Und immer wieder gastfreundliche Menschen, die mich aufnahmen. Die ein Wort für mich hatten. Die mich leiteten. Und sehr viel Stille.

In einem anderen Sommer stand ich in der Basilika des heiligen Nikolaus, Bischof von Myra. Ich staunte über die gut erhaltene uralte Kirche, hatte aber auch zu tun, die Heiligkeit des Ortes zu wahren vor den trampelnden Besucherströmen. Als ich einmal auf eigene Faust durch die Wüste Sinai gekommen, den Gebel Musa bestieg, allein und in der Stille der Nacht, und am Gipfel schlafend dem Sonnenaufgang entgegenträumte, da weckte mich das Touristengetrampel kurz vor Sonnenaufgang, und kurz darauf war ich schon wieder allein, in umso größerer Stille. Ich habe damals im muslimischen Land alleine Messen gefeiert auf einer im Wüstensand ausgebreiteten Bastmatte, mit Wein aus der Plastikflasche, Fladenbrot und einem Metallbecher als Kelch. Die Stille war meine Kathedrale.

Wenn aber die heilige Stadt Rom das Ziel ist, das Grab des Apostels und die ehrwürdigen Kirchen: auch dann ist das Gehen, das Wandern mir die Hauptsache. Im Unterwegssein auf das Ziel ganz bei sich sein, im Tasten nach dem, was dich anspricht, ganz du selbst, und auf einmal sind es die uralten Kirchen San Clemente mit der Kellerkirche und dem Mitrasheiligtum oder Santa Maria in Cosmedin mit dem Presbyterium, Santa Sabina mit der geschnitzten Tür und dem Blick über die Stadt oder Santa Maria Maggiore mit den Mosaiken, die dir den Atem rauben und zurückschenken zugleich. Der Atem hat später noch gereicht für eine Oberstufenklasse, die ich von Wien dorthin führte, und eine Jugendgruppe aus Villach, die letzten Winter wandernd und zeichnend, lesend, spielend und staunend die Stadt erschloß.

Der Atem, den Assisi atmet, soll nächste Woche auch die Pilger beseelen, mit denen ich den heiligen Franz suchen gehe. Wieder bekamen sie Bücher zur Vorbereitung, wieder ist gerade nur Bahn und Quartier gebucht, muß sich alles andere unterwegs finden, im Gehen, Hören und Schauen.

Pilgern IV: Ins Fleisch

Mein heutiges Reisen ist immer auch eine Art Pilgerfahrt. Nicht deswegen, weil immer ein Wallfahrtsort das Hauptziel wäre. Obwohl Paulus in Damaskus und Petrus in Antiochien, Felsenkirchen in Lalibella, Äthiopien, und die Marienkirche in Ephesus eigentlich Wallfahrtsorte sind oder waren. Oder die Moldauklöster in der Bukowina oder der Erscheinungsberg in Medujorje. Sondern mehr noch wegen des Unterwegsseins. Die Neugier und Sehnsucht nach dem Reiseziel, und die schrittweise Annäherung. Ich mache keinen Landeanflug, ich lasse mich nicht überrumpeln mit der Ankunft.

Mein Reisen muß auch für Begegnungen und Stationen Zeit haben. Deshalb fahre ich auf landesübliche Weise, also mit öffentlichen Bussen oder mit dem Zug, per Schiff oder auch einmal per Anhalter. Und natürlich immer auch zu Fuß. Als ich heuer im August von Temeswar über die Grenze in die Woiwodina kam, hatte ich Stunden zu warten an Straßenkreuzungen, wo einmal jede Viertelstunde etwas vorbeikam, meistens ein Traktor oder ein Lastwagen oder ein vollbesetzter Fiat oder ein halbleerer PKW in die falsche Richtung. Ich konnte das brettlflache Land studieren, die Mais- und Weizenfelder und die Allee entlang der Straße, die gentechnisch veränderten Saatguttafeln von Pioneer oder die Mückenschwärme in der unbewegten Gluthitze.
Und wenn es schwierig wird und du schon an ein Scheitern zu denken beginnst, dann ändert sich mit einemmal das Tempo, als wäre ein Wind aufgekommen, und am Abend desselben Tages duscht du schon behaglich in einem freundlichen Hotel am Stadtrand von Novi Sad, und machst sogar noch einen Abendspaziergang in der belebten Stadt mit dem wunderbaren Speiseeis.

So wie Weinlesen ein langsames Gehen ist, so lese ich mich an die Orte und Städte heran, mit Romanen, die dort spielen oder geschrieben wurden, mit Reiseführern und Geschichtsbüchern, mit der heiligen Schrift. So kam ich letzten Sommer ins rumänische Ruse an der Donau, weil es das Rustschuk von Elias Canetti ist, oder nach Cernovic, wo Paul Celan geboren wurde. So erschließen sich mir nicht nur die Städte und Länder, sondern die Orte erschließen mir die Literatur. Als ich am Musa Dagi stand, öffnete sich ein neuer Blick auf Franz Werfels Roman, und als ich zurückkehrte nach Antakia, bekam ich neue Augen für Petrus und Paulus, die beide in dieser Stadt waren und auch aufeinander trafen, nicht immer eines Sinnes.

Manch solcher Blick hat schon für Mitreisende ein Leben verändert. Pilgern ist nämlich gefährlich: manch einer ist verändert zurückgekommen, bekehrt, und nennt jetzt in seiner religiösen Biographie diesen Blick als Anfang, was er da gesehen hat, was ihn berührt, ergriffen: die Ausgesetztheit der Apostel, oder die gnadenlose Verfolgung der Armenier, unserer Glaubensbrüder. Der Gang Jesu durch die Straßen der Jerusalemer Altstadt mit dem Kreuz, oder der unterirdische Blick auf das Grab des Petrus. Die verstümmelten Bettler Äthiopiens oder der Blick vom Psiloritis über ganz Kreta.

Wenn man das Geführtsein als ein Pilgern ansehen mag, und das Ergriffensein im Ausgesetzten, dann werden die Mühen des Reisens und manches Risiko zu bloßen Etappen der Annäherung. Und wer sich von dem Mensch Gewordenen geführt weiß, wer aus seiner Hand entgegennimmt, was er zum Leben braucht, der wird im Pilgern ihm näher kommen, diesem ins Fleisch Gekommenen.

Pilgern als Ins-Fleisch-Kommen: Es könnte sein, dass der Papst das so gemeint hat, es könnte sein, dass auch er selbst ein solcher Pilger ist, er, der Hirt der Kirche Christi.

Samstag, 1. Dezember 2007

Zu Florjan Lipus

Endlich gehst du durchs Dorf, schreibt er, und weiter komme ich nicht.
Durch die Stadt, durch die Kleinstadt.
Mit dem Rad bin ich gefahren, über den Hauptplatz, weil ich noch einen Leuchtstift kaufen wollte, auf dem Weg zum Bahnhof. Einige Male herumgeirrt zwischen Schaustellern und Punschständen, aber das Papiergeschäft ist nicht mehr da. Wieder eines weniger, von Riesen geschluckt, wieder ein wenig moderner unser Städtchen.
Aber bin ich wirklich durchgefahren?
Kann man durch diese Stadt überhaupt durchgehen?
Ich mußte mich durchzwängen. Der Lastwagen hat die ganze Gasse versperrt. Immerhin hat sich der Fahrer entschuldigt, als ich über das Ladegut klettern musste.
Gut, ich bin jetzt sieben Jahre hier - aber auch nach 70 Jahren würde das nicht meine Stadt sein. Denn diese Stadt erzeugt Fremde.
Sehen Sie nur, wer sich da punschselig und einkaufsselig über das Pflaster schiebt. Italiener und Slowenen, Bettler aus der Slowakei, eine Inderin in goldenem Gewand, die wie eine Schaufensterpuppe reglos auf einem Potest seht, während die zustellenden Lastwagen mit laufendem Motor vor ihrer Nase warten, Fahrerblicke geradeaus.
Meine Schüler haben letzte Woche versucht, die Stadtbewohner nach ihrem Glauben zu befragen. Sie sind oft abgewiesen worden, Blödsinn, keine Zeit, Wichtigeres zu tun: also auch sie fremd hier, fremd in Gottes Schöpfung.
Wer mich kennt, wer mich grüßt: das sind die Bettler, die am Sonntag auch vor unserer Kirche sind, und manchmal ein Schüler.

Der Zögling Tjaz

Freitag, 5. Oktober 2007

Das ewige Leben der Albaner

Albanien ist das Land, wo keiner stirbt. Gestärkt von endlosen Stunden bei Tisch, bewässert vom Raki und desinfiziert vom Peperoni in den allgegenwärtigen eingelegten Oliven, werden die Körper hier so robust, daß ihnen nichts mehr etwas anhaben kann.
Die Wirbelsäule ist aus Eisen. Man kann mit ihr machen, was man will. Geht sie kaputt, läßt sie sich wieder reparieren. Das Herz wiederum kann verfetten, nekrotisieren, einen Infarkt, eine Thrombose oder sonstwas erleiden, hält aber dennoch heldenhaft stand. Wir befinden uns in Albanien, hier versteht man keinen Spaß.

Aus Staub und Schlamm besteht dieses Land, und die Sonne brennt derart, daß die Blätter der Weinstöcke rostig werden und die Vernunft dahinschmilzt. Das hat einen (wie ich fürchte, unvermeidlichen) Nebeneffekt: den Größenwahn, der in dieser Vegetation gedeiht wie Unkraut.

Das Wort Angst hat hier keine Bedeutung. An den Augen der Albaner erkennt man sofort, daß sie unsterblich sind. Der Tod ist etwas, das nichts mit ihnen zu tun hat.

"Hast du schon gehört? Unser Nachbar, Suzis Papa, ist gestern abend beim Duschen gestorben. Er ist von der Arbeit nach Hause gekommen, hat gegessen, ist unter die Dusche gegangen und gestorben."
"O nein! Er war doch noch so jung, der Ärmste!"
"Tja, da kann man nichts machen, meine Liebe. Das Leben ist voller Überraschungen."

Auf diese Weise sterben die anderen.

Ornela Vorpsi
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ferne

Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.

2 Kor 16f

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