Dienstag, 7. August 2007

4. So viele Gesichter

begegnen mir heute am Korso, ganz mitteleuropaeische, oder tuerkische mit dunklen Augenbrauen in hohen Boegen, dunkle Hautfarben wie bei Roma, oder kahlgeschorene Schaedel auf Stiernacken wie Tschetniks des 20. Jhts, schlanke Maedchen mit Wespentaillen oder in weisse Kaftene geknoepfte mit hellen Kopftuechern, aus denen sie nirgendwo hinblicken, aber am Basar mit flinken Fingern in den Bergen glitzernder Ketten oder Stoeckelschuhe wuehlen.

Das alles ist so unbeschreiblich verschieden und unvereinbar, dass ein so alltaegliches und harmloses Ineinanderfliessen wie unter dem heutigen verhangenem Himmel nur verstehbar ist durch die unsichtbare Naehe des Todes, der das Auseinanderklaffende wieder zusammenfuehrt und aufhebt in einer Eindeutigkeit und Entschiedenheit, zu der das heutige Lebendige noch nicht imstande ist, jedenfalls nicht mit diesem Geist.

Auch Danilo Kis weiss das, wenn er die Bedeutung so verschiedener Menschenleben zuletzt zusammenfuehrt in einem Grabmal, oder Cioran, der Denker der Verzweiflung, oder Paul Celan, der dem Unsagbaren das Wort leiht, und auch Elias Canetti, der vor der Macht der Masse erschauert. Ich bin sogar gespannt, ob in Ovids Verwandlungen, die an Rumaeniens Schwarzmeerkueste entstanden, ein solches fraglos Eindeutiges auszumachen ist, auf dem das Auseinanderfallende der Erscheinungen sicher aufruhen kann.

Wir werden sehen.


DSC05914

Struga, Mazedonia

3. Die stille Naehe des Todes

die Sytki erschauern liess, als er von der angeblichen Todesverachtung der albanischen Bergbewohner berichtete, mit denen ich auf meiner abenteuerlichen Rueckfahrt von Theth in Beruehrung gekommen war, als der riesenhafte Beifahrer vor dem johlenden Buspublikum Zoten zum Besten gab, einem die Rakiflasche abnoetigte, daraus tiefe Zuege nahm, auch dem Fahrer aufzwaengte, der mit den rumpligen Kurven entlang steiler Abhaenge seine liebe Not hatte, und ihn zuletzt, der selbst kein Schwaechling war, immer wieder anstiess, boxte und maltraetierte, bis ihn endlich, als die gefaerlichsten Passagen hinter uns lagen, sein ebenso huehnenhafter kleinerer Bruder in die zweite Sitzreihe beorderte und den hilflosen Vater auf den Beifahrersitz zwaengte, alles waehrend der Fahrt, versteht sich.
Vor diesem Bruder, dessen langer Zopf vor meiner Nase gebaumelt harre, war ich schon am Anfang dieser Fahrt ob seines tierischen Gebruells erschrocken, und ich hatte seinem spaeteren Besaenftigungswillen nicht trsauen wollen und empfand die schliessliche Ruhigstellung des Tobenden, sich kindlich Gebaerenden, der zu seinem grindenden Einlenken immer wieder einen Kuss eines Maedchens, eine Zigarette oder eine Umarmung des Vaters verlangte, wie einen Spaziergang auf einem Vulkan.

Theth, in Albaniens Bergen im Norden

Der mitteleuropaeische Mensch scheint viel staerker domestiziert, und er lockert nur mehr bei Besaeufnissen und wilden Autofahrten seine Fesseln, um nach dem Kater wieder in seine Spiessige kleinbuergerliche Welt zurueckzukehren, noch harmloser als zuvor, und ohne Glauben daran, dass es auch anders sein koennte.

Der Balkan scheint dagegen von so vielen Rissen gespalten zu sein, dass mindestens 2 oder 3 durch jedes Herz gehen.

Das Ausmass der Fraglichkeit Mazedoniens etwa, das nicht weiss, ob es ein Land oder ein Volk ist, und welches,
das sich auf Alexander den Grossen zurueckfuehrt wie die Griechen, das einen Namen fuehrt, den auch die Griechen beanspruchen, und dessen Reich von Ochrid, das Zar Samuil im 10. Jht errichtete, heute von den Bulgaren als deren Geburtsstunde betrachtet wird.
Im Kongress von Stefano zwischen Bulgarien und Serbien, im Berliner Kongress wieder zurueck an die Osmanen, im 1. Balkankrieg unter allen Nachbarstaaten, im 2. an Serbien verteilt und schliesslich zu einem Bruderstaat in Jugoslawien gemacht> 1991 war es als einziges Land ohne Blutvergiessen unabhaengig geworden von Jugoslawien, und als einziges Balkanland stellt es keine Grossreichansprueche wie Albaner, Bulgaren, Serben oder Kroaten.

2. Ismael Kadare

hat mich auf die Spur gebracht, als er die Steine seiner Heimatstadt und derer Enver Hodgas erzaehlen liess von der wechselnden Herrschaft der Osmanen, Italiener, Griechen, Englaender, Deutschen und Kommunisten>

Die fast verlassene Stadt wurde besetzt.
Spaeter erfuhr man, dass eben zu jener Zeit, als die Panzer bestialisch heulend die Strasse der grossen Bruecken heraufrollten, zwischen Tante Xhemo und der Weisen Frau Shano folgender Wortwechsel von Fenster zu Fenster stattgefunden hatte>
Warum machen die nur so viel Laerm. Die koennten ruhig etwas leiser einziehen, beschwerte sich Tante Xhemo.
Die alte Shano antwortete>
Sie machen immer so ein Spektakel, wenn sie kommen. Nur wenn sie gehen, ist nicht mehr viel von ihnen zu hoeren.


In dem staetischen Gespinst von Personen und Figuren, die sich ahnungslos und aberglaeubisch den verschiedenen Herrschaften beugen, ohne ihnen zu glauben, bleiben immer wieder einige zurueck im staendigen Wechsel, in dem die neue Grausamkeit stets die alte uebertrifft. Zuletzt haben sich auf wunderbare Weise alle daran gewoehnt, dass nicht nur fremde Voelker, sondern schon die Nachbarn und eigenen Familienmitglieder jederzeit den TOD bringen koennen.

1. An diesem verregneten Tag

in Struga, Mazedonien, am Ufer des Ochrid-Sees, der zwischen zwei heutigen Balkanstaaten liegt, beginnt sich mir ein durch Jahrhunderte verworrenes Balkanbild aufzuklaeren, das vielleicht fuer das Widerspruechliche alles Irdischen stehen koennte.

Sechs Tage atme ich nun Balkanluft, die Bahnfahrt durch Italien eingerechnet, wo kein Zug unter einer Stunde Verspaetung hatte und ich so jegliche Anschluesse versaemte, was immer einen Aufpreis zur Folge hatte, in modernsten Triebwagengarnituren, wo in 10 oder 12 klimatisierten Wagons insgesamt gerade 1 WC benuetzbar war, wenn man gewillt war, durch Urin zu waten und den Gestank zu ertragen.

Die freundliche Hafenstadt Durres, das geschaeftige Tirana mit seinen ehrgeizigen Hochbauten aus Beton, Glas und Aluminium, oder das vernachlaessigte Shkoder, hinter dessen bruechigen Fassaden langsam die unvermeidlichen Betonskelette wachsen.

Roemisches Amphitheater in DURRES, Albanien

Im Zentrum von TIRANA



Alles das war mir verbunden durch die unverbruechliche Freundschaft einiger Kuenstler und Archaeologen, die heute im Land verstreut leben und die mein Besuch nach 10 Jahren wieder zusammengefuehrt hatte. Sytkis Merzedes und Adnans unwiderstehliche Ironie, Gezims klares Urteil ueber sein Land und seine Ausgrabungen und Agrons ruhige Klarheit halfen ueber jegliches Auseinanderklaffendes hinweg>
Sei es ueber die beiden von arabischen Brudervoelkern nach dem Krieg errichteten riesigen Moscheen inmitten struppiger Gaerten, in denen sich eine Handvoll Glaeubige zum Gebet trafen,
Sei es der geduldig sich in die Berge schlingende Saumweg, ueber den ein Kleinbus 3 Stunden lang erst hinauf, spaeter wieder zurueck rumpelte und so tief katholische Alpendoerfer, in denen das Kanun herrschte, das alte albanische Stammesrecht, mit der allgemeinen Gesetzlosigkeit der Ebenen verband, in denen jeder sich holte, was zu holen war:
in den 90er Jahren die Arsenale der Kasernen, heute Grund und Boden ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe, um darauf eines von Zehntausenden neongelber oder pastellrosa Legohaeuschen zu errichten.

Theth, in Albaniens Bergen im Norden

Grosse Kuenstler und ich: Agron Mesi, Adnan Bushati

Gezim Hodga fuhrt Adnan und Sytki durch die Ausgrabung des roemischen Lezhe

Ausser Haeuschen und Tankstellen, Banken und Lagerhallen waechst kaum etwas hier, sagt Gezim, ein Haendlervolk, das nichts produziert, eine Wirtschaft, die auf Luft baut, wie die Pyramidenspiele, die 1997, bei meinem ersten Besuch, gerade unter heftiger Anteilnahme der auf den Strassen versammelten Massen zusammengebrochen waren.

Strasse in Shkoder, Albanien

Strasse in Shkodra

Strasse in Shkodra

Albanien ist wunderschoen geworden, schwaermt verliebt mein Sitznachbar mit schweizerischem Akzent, und sieht patriotisch als Eines, was unueberbrueckbare Widersprueche sind. Und er hat recht, weil er jung ist wie ein Grundwehrdiener, und zwei kleine Kinder hat und eine Frau, die aussieht wie Angelina Jolie und kein einziges Mal gelacht hat waehrend der 5 Stunden Busfahrt von Tirana nach Struga, ich hab sie zwischen den Sessellehnen genau beobachtet.

Toleranz hatte er es genannt wie die von aufgeklaerten Deutschen verfassten Reisefuehrer, was in der Sprache des Glaubens nur Schwaeche des Bekenntnisses ist>
  • in Villach schon allgemeine Gutmuetigkeit, in Verbindung mit einem irgendwie vorhandenen Familienleben und dem Nichtausschluss der Existenz eines Hoeheren Wesens, das zuletzt schon seinen Segen dazugeben wird zu dem, was sie eigenmaechtig angerichtet haben wie zur Speisensegnung,
  • in Albanien eben die familiaere Gemeinschaft von Moslems, Orthodoxen und Katholiken, die das friedliche Interesse an ihrer unmittelbaren Realitaet sowie die Ahnungslosigkeit ueber ihre eigene Religion gemeinsam haben, kein Gebet kennen, aber einander heiraten und begraben wie in alten Tagen.
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ferne

Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.

2 Kor 16f

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