Donnerstag, 23. August 2007

Novi Sad

ein kleines Las Vegas
was in den anderen Balkanstaedten
Advokaten, Apotheken und Dentisten
sind hier Casinos und Automatenhallen/

die Frauen haben Figuren wie
Fotomodelle
(sogar die Bettlerinnen mit den Kindern
sind jung und schoen)
eine hat mich ans Kinn gefasst
mit zarten Bewegungen und
gewinnendem Laecheln
(aber fuers Messer
habe ich noch einen andern gebraucht)/

staubige breite Boulevards
und am Stadtrand, wo ich wohne
eine riesige Muellhalde
mit dunkelhaeutigen Kindern
und Pferdefuhrwerken/

in der Festung
Petrovaradin
fuehle ich mich auf
festem Boden
oberhalb der Stadt
und der Donau
mit meinem neuen Freund
Eugen S./

damit ich nicht das
Wichtigste vergesse:
die Eissalons sind HERVORRAGEND

Novi Sad, Serbien

Eugen S.

Voivodina, Serbien

Erst die Doppelstockwagen
von Timisoara an die Grenze nach
Jimbolia
eine Vollbremsung wegen einer Kuh
24 Stunden nach meiner
Abreise aus Czernowitz
klebte ich auf einer
Sitzbank im Oedland
immer noch im selben
Gewande/

an einer Kreuzung in
Voivoda Stepa
2 gleiche Strassen im rechten Winkel
in allen Richtungen das selbe
weite flache Land
riesige Mueckenschwaerme
von weitem sichtbar
wenige Straeucher
viel Sonne
immer irgendein
Knattern in der Luft
ein Traktor oder ein
Lastwagen
das ist eine andere
Art Zeit/

zwischen Sonnenblumen>
und Maisfeldern das
Hybrid>Saatgut von Pionier
stolz ausgeschildert
Zeile fuer Zeile am
Strassenrand
schon wieder habe ich die
Wasserflasche im letzten Auto
liegengelassen/

kilometerlange Doerfer
breite Gruenstreifen neben der Strasse, dann
die Haeuserreihen/

als ich dann im Fuehrerhaus
des orangefarbenen Lastwagen sass>
Kurti, verzeih, ich weiss die Automarke nicht>
da hatte ich einen Blick wie ein Koenig
und noch viel mehr Glueck>
kaltes, frisches Wasser
und der Fahrer machte meinetwegen
einen Umweg bis zur westlichen
Stadtausfahrt von Zrenjanin
und schenkte mir noch zum Abschied
eine Doppelliterflasche Mineralwasser
und als er mir Sretschno wuenschte
als ich vom Fuehrerhaus herunterkletterte
mit dem ganzen Gepaeck
da wusste ich dass es
ein Gesandter war/

kaum auf der anderen Strassenseite
hielt schon ein Auto
direkt nach Novi Sad
bis vor die Haustuer des Hotels, dem
Ziel aller Wuensche an diesem Tag.

So ist meine Kippe

Unter Gesindel in Timisoara

im Bahnhofscafe mit Parawerern
ein Plastikbecher schwarzer Kaffee
das Kipferl hat die Marmelade
innen und aussen
gesperrtes Bahnhofsklo, stattdessen
Plastikkabinen mit Blickkontakt
zur Kloake/

die Sonne geht auf, waehrend ich
der Spur folge zum Busbahnhof
entlang einer der
aeltesten elektrischen Strassenbahnen
eine k.u.k. Einrichtung
ueber eine huebsche Steinbruecke
und vermeine immer wieder
aus der Menschenmenge
meinen Namen rufen zu hoeren/

Trinkwasser zum Zaehneputzen und Waschen
wird von vielen benuetzt/

eine Zigeunerfamilie geschaeftig am Bahnsteig:
einige Kinder blossfuessig
der winzige Vater und der
noch winzigere Erstgeborene
im schwarzen Anzug/

viel Bahnverkehr, aber nach Belgrad
nur 1 Zug taeglich um 6 Uhr
(ich kam um 6.30 Uhr an)
keine grosse Freundschaft mit dem Nachbarn/

dieser Mundwinkel koennte ein
Schmunzeln sein auf den Gesichtern der
jungen Rumaeninnen/

nicht genug der Sprachenvielfalt:
Gebaerdensprechende
besondern auf Bahnhoefen/

ein Maedchen nimmt es leicht auf mit
dem Grossvater und zwei weiteren
alten Maennern, und
als ich mich auch melde,
faechelt sie mir und meinem Sitznachbarn
Luft zu mit einer Zeitung.
ich applaudiere, alles lacht

Wieder in Suceava

Hundewelpen unter Huehnern
(sie lagen in
Sandgruben und
bellten nicht)

Montag, 20. August 2007

Czernowitz

Wenn diese Stadt kaprizioes ist
und das machen die Russen
die Geraeusche wuerden hier
mit dem Klappern der Bleistiftabsaetze beginnen/

und wenn sie nichts verstehen
und sich auf Zeichen nicht einlassen
spotten sie dich aus
(aber ich habe mich geraecht)/

wenn der Fluss der Dinge in den Strassen
nicht so selbstvergessen ist wie in Sofia
etwas angestrengt

der Ostblockgeruch:
Jan sagt, das kaeme vom Fluessiggasantrieb der Autos/

schrill, ueppig, glaenzend:
das ist doch nicht das k.u.k. Czernovitz
ausser dem schwarzen Kaetzchen
das zu meinen Fuessen zusammengerollt ist
und nicht aufwachen mag/

die nette Kellnerin mit der blonden Ponyfrisur sitzt nebenan auf einer Stufe und raucht
alles ist ein wenig schwer und schwankend
die Dekoilletes und der Mann
der sich seufzend auf einen Korbsessel niederlaesst/

auch hier wohnt der Tod:
Stalin hat sie verhungern lassen 1936
weil sie seine Kollektivierungen nicht mochten
ohne Garten und Schwein
aber die Juden haben sie dann nicht geschont
(wie die Bulgaren)
spaeter galten sie Hitler
gleichwohl als Untermenschen/

wenn die beiden aufgeweckten Buerschchen am Nebentisch
13 uder 14 sind:
Taras spricht Englisch
stammt aus Nowosibirsk
und hat Grosseltern in Cernivci und Belgrad
er wird mir im September ein SMS schreiben/

wenn Hausfrauen knarrende elektrische Busse steuern
im Kittel
und sich im Handspiegel die Haare frisieren
unbeeindruckt von der Welt

wenn die Plaetze dieser Stadt
Raum geben
freundlich gruen und bunt ummantelt
schwatzend bevoelkert und
kinderschreierfuellt

wenn die wasserfarbenen Augen der Ukrainer
und ihre durchsichtige Haut
in ebensolchen Blusen
die duesteren Gassen und schattigen Alleen
heller machen wollen

wenn die Stadt in der gestrigen grauen Luft
russisch war und heute
der Himmel sommerlich leuchtet,
und wenn Ukraine und die Bukowina
in Czernovitz auf einem Bein stehen:

aber Svitlana ist nicht so.

Oder vieleicht doch.




Bahnhof Cernovics

Platz Austria, Kriegerdenkmal, ehem. Bueste der Kaiserin Elisabeth

Cernovics, Stadttheater von 1905, erbaut von F. Fellner und H. Helmer

Rathaus, Ukrainisches Haus im Jugendstil

Paul Celans / Paul Antschels Geburtshaus in der ehem. Wassilkogasse heute Sahsahans'koho 5

Universitaet Francisco-Josephina, 1875, anlaesslich 100 Jahre oesterreichischer Bukowina, mit erster griechisch-orthodoxer Fakultaet Europas

Czernowitz

DSC06652

Sonntag, 19. August 2007

Phantasie

Mihai Eminescu, Der Abendstern, gedichte

Fantasie, fantasie,
cand suntem numai noi singuri,
ce ades ma porti pe lacuri
si pe mare si prin cranguri!
Unde ai vazut vrodata
aste tari necunoscute?
Cand se petrecur-aceste?
La o mie patru sute?

Phantasie, o meine Freundin!
sind wir beide nur alleine,
wie oft fuehrst du mich auf Seen,
ueber Meere und durch heine?
hat es in solch unbekannte
Laender jemals dich verschlagen?
hat sich das um vierzehnhundert?
oder wann sich zugetragen?

Samstag, 18. August 2007

Bekenntnisse eines Reisenden II

Diese Unersaettlichkeit.
Meine Unersaettlichkeit.
Ich will ALLES, und zwar auf einmal/

Und darum ausgesetzt.
12 Stunden im Zug in Rumaenien, wo die Abteile nicht 6, sondern 8 Sitzplaetze haben, und alle belegt.
Die erste gute Begegnung mit jenem besonnenen Mann, den ich etwas lesen sah und der mir - ohne dass wir ein Wort irgendeiner Sprache getauscht haetten - Segen zusagte, als er mein Reiseziel, die Kloester, erfuhr. Die zweite mit dem Vater des traurigen, verschlossenen Maedchens, das sich ob der vielen Fremden schier in sich selbst verstecken wollte. Er lockte sie, stand stundenlang mit ihr am gangfenster, spielte zuletzt im Abteil mit ihr, da lachte sie glucksend aus dem Leib heraus. Die Mutter blieb ernst und besorgt, beide Eltern einfache Leute, eher im Alter von grosseltern.

Um 4 Uhr Frueh, im Stockfinstern, an einem fremden Bahnhof, kilometerweit von der fremden Stadt:
an der Kippe/

an der Kippe:
es wird sich erweisen
ich fuehre es nicht herbei
ich stelle mich/

an der Kippe:
ein kluger Mensch wuerde es Potentialitaet nennen
ich sage so:
jederzeit kann alles daraus werden/

beim Autostoppen war ich in meinem Element:
2 Kloester in 40 km Entfernung
ueber gewundene verzweigte Strassen
zuversichtlich warten am Strassenrand, wer kommt/

und es wurden mir geschenkt:
3 Urwaldkloester (wie in gondar, Aethiopien)
1000 Bilder der Bibel, der heiligengeschichten und des Akathistos-hymnus
eindringlich die verschiedenen hinrichtungsszenen
die erfolglose Belagerung Konstantinopels
oder der Feuersog, in dem Christus noch eine Seele rettet
vor dem hoellenfeuer/

der Wehrturm von humor, der sich erklettern liess
die Stufen zuletzt nicht breiter als 30 cm, und genauso hoch
1000 wunderschoene holz- und Steinhaeuser
in anmutigen Dorfszenen gruppiert
unter verhangenem himmel
mit huehnern und gaensen, gladiolen und Krautkoepfen im garten
und der grossmutter am bankerl
waehrend die Enkelkinder uebermuetig mit Pferdefuhrwerken
durch die gassen fegen/

Und zuletzt nahm mich einer mit in seinem vollen Auto: die Frau vorne, und hinten 2 kleine Maedchen, und nahm noch den 2. Anhalter auch mit, der mit mir gewartet hatte, wie Zigeuner sahen sie aus, dunkle haut, sauber gekleidet, und unsaeglich laute Zigeunermusik aus dem Radio; die Fahrweise ruppig, wie auch die Strassen, jeder Rumpler wurde von der Frau kommentiert, aber: die Kinder waren artig zur Seite gerueckt, als wir einstiegen, um uns Platz zu machen, und am Bahnuebergang, als die Lichter blinkten, augenblicklich den Motor abgestellt: wo gibt es das bei uns?

humor, Moldaukloster, Bukowina

humor, Moldaukloester

Voronet, Moldaukloster

humus, Ortschaft, Bukowina

Ruse, Rustschuk

Elias Canetti, Die gerettete Zunge

Rustschuk, an der unteren Donau, wo ich zur Welt kam, war eine wunderbare Stadt fuer ein Kind, und wenn ich sage, dass sie in Bulgarien liegt, gebe ich eine unzulaengliche Vorstellung von ihr, denn es lebten dort Menschen der verschiedensten Herkunft, an einem Tag konnte man sieben oder acht Sprachen hoeren. Ausser den Bulgaren, die oft vom Lande kamen, gab es noch viele Tuerken, die ein eigenes Viertel bewohnten, und an dieses angrenzend lag das Viertel der Spaniolen, das unsere. Es gab Griechen, Albanesen, Armenier, Zigeuner. Vom gegenueberliegenden Ufer der Donau kamen Rumaenen. Es gab, vereinzelt, auch Russen

Rustschuk war ein alter Donauhafen und war als solchen von einiger Bedeutung gewesen. Als hafen hatte er Menschen von ueberall angezogen, und von der Donau war immerwaehrend die Rede. Es gab eschichten ueber die besonderen Jahre, in denen die Donau zufror: von Schlittenfahrten ueber das Eis nach Rumaenien hinueber: von hungrigen Woelfen, die hinter den Pferden der Schlitten her waren.

Es wird mir schwerlich gelingen, von der Farbigkeit dieser fruehen Jahre in Rustschuk, von seinen Passionen und Schrecken eine Vorstellung zu geben. Alles was ich spaeter erlebt habe, war in Rustschuk schon einmal geschehen. Die uebrige Welt hiess dort Europa, und wenn jemand die Donau hinauf nach Wien fuhr, sagte man, er faehrt nach Europa, Europa begann dort, wo das tuerkische Reich einmal geendet hatte.

Mittwoch, 15. August 2007

Sibiu, Hermannstadt

E.M. Cioran,
Der Absturz in die Zeit


Uebrigens wuenschte der Mensch auch gar nichts anderes als zu sterben;
durch Wissen wollte er seinem Schoepfer gleich werden,
nicht durch Unsterblichkeit.
Er hatte keinerlei Verlangen,
dem Baum des Lebens naeherzutreten,
der ihn ueberhaupt nicht interessierte.
Darueber muss auch Jahwe im Bilde gewesen sein,
da er ihm den Zutritt gar nicht erst verbot;
weshalb haette er die Unsterblichkeit eines UNWISSENDEN fuerchten sollen?

Wahrhaft erkennen heisst:
das WESENTLICHE erkennen,
sich ihm verpflichtet fuehlen,
in seinen Kern eindringen,
weder durch Analyse noch durch Sprache,
sondern durch den schauenden Blick.

Die Entruecktheit haette fuer uns eine Pflicht und ein innerer Drang sein muessen,
aber wir haben an ihre Stelle das aeussere Ereignis gesetzt

Wir sind dadurch schuldig geworden, dasswir uns ueber unsere Faehigkeiten und unsere Verdienste hinaus realisieren wollen, wir sind Versager DURCH UEBERMASS, unfaehig fuer jeden echten Vollzug

Eine Zivilisation beginnt mit dem Mythos und endet im Zweifel


Sibiu, Oberstadt

Sibiu, Unterstadt

Ursulinenkirche, Sibiu

Ich habe Schleifen gezogen

den ganzen Tag
Schleifen ueber Schleifen
mir schwindelte bereits morgens um 6
mit Rucksack und Bleifuessen
und der feuchten Hitze der Nacht im Zug
in allen Gliedern/

im Kreis bin ich gegangen
und konnte keine Richtung halten:
denn das ist Schwindel,
wenn du nicht weisst wo du stehst
und was als naechstes.../

Stunden in der Stadt ohne Weiterkommen
ausser: ich habe mich eingeschrieben
mit Schleifen/

doch dann fand ich die Donau
nichts in der Stadt deutete auf sie hin
unvermittelt erblickte ich sie
durch die Baeume einer Alle hindurch
Baba Tonka
sie sah kaum breiter aus als in Wien
endlich eine klare Linie/

ich habe Menschen liegen sehen am Donaustrand
einige stiegen hinein
der stetige gleiche Wind ging
den ich von Wien kenne
und erleichterte die Hitze
viele viele Schiffe
immer wieder ein Schubschiff
stromauf stromab, langsam
wie nackt ohne Kaehne
Schubschiffe sehen aus
als waere der Bug abgeschnitten
als Kind hab ich sie nicht gemocht
ich bin bei der Reichsbruecke gestanden
und habe die Schleppverbaende wenden gesehen
viel zu selten
ich habe nur eine einzige Geschichte
warum hab ich nicht genauer geschaut:
das alles gibts nicht mehr
etwas war, und du warst dabei
am Rande
kann man nicht vom Rande alles sehen?/

im Verkehrsmuseum, die letzte Viertelstunde vorm Zusperren
trotzdem voller Eintritt
nur die Lokomotiven im Freien, der Bahnhof schon geschlossen
also spielt Zeit doch eine Rolle
auch wenn sie in Schleifen verschwand/

40 Minuten am Busbahnhof gewartet
auf das nachgesandte Ladegeraet
es wurde langsam dunkel
alle 10 Minuten ein Bus
alle 5 ein Taxi
Busbahnhoefe gehoeren zu den ungeliebtesten Orten der Welt
(gleich nach Grenzuebergaengen)
nichts zum Bleiben
auch Canetti hat die Stadt noch als Kind verlassen:
Rustschuk, heute Ruse
mit dem Blick nach Wien

Dienstag, 14. August 2007

Dimitre Dinev

Die Zeiten waren wechselhaft. Man wechselte Fahnen, Wappen und Uniformen. Man wechselte die Namen von Städten, Straßen, Schulen und Sportplätzen, der Parks, Krankenhäuser und Fabriken, und wenn man keinen geeigneten Namen für die Fabriken fand, schloß man sie wieder. So schien es jedenfalls. Man wechselte sogar die Sprachen. Gestern noch wurde der Schlosser aus der Metallfabrik, der drei Hände zu haben schien und deswegen auch mit drei Orden der Arbeit belohnt worden war, mit Genosse Petrov angeredet, heute traf man den arbeitslosen Herrn Petrov auf der Straße, den Blick besorgt auf den metallfarbenen Gehsteig gerichtet, die Hände in den Hosentaschen. Nur noch zwei Hände hatte er jetzt, die dritte hatte er inzwischen verloren.

Die Kommunisten hatten endlich ihre Macht verloren, und eine solche Gelegenheit wollte keiner verpassen, nicht einmal die Kommunisten selbst. Sie wechselten über Nacht den Namen ihrer Partei und wurden Sozialisten. Und die Volksrepublik, in der all das geschah, heißt heute plötzlich nur noch Republik Bulgarien

Montag, 13. August 2007

In den Schluchten des Balkan

Bis Mitternacht fliegen hier die Schwalben, sie haben ihre hungrige Brut genau ueber mir: ich sehe die weisse Brust, den schwarzen Kragen, das braeunliche Koepfchen, wahrscheinlich ein schwarzes Kaeppchen, das ist im Neonlicht der Bahnhofsveranda nicht so genau erkennbar/ aber die Flugpausen werden laenger/

ich habe auf den maechtigen Felsen, die das Tal des Lakatnik-Bahnhofes beherrschen, am spaeten Nachmittag noch Kletterer gesehen, sie haben sich von oben abgeseilt/ da waren Emilije & Vladimir, George & George schon im Zug nach Sofia, und ich hatte auf einer Haengebruecke mit auf Eisentraegern geschweissten knirschenden Blechplatten den Fluss ueberquert und von drueben die Bahnstrecke beobachtet/

die letzten Kilometer waren wir auf der Ladeflaeche eines uralten Lastwagen gesessen, juchzend vor Freude ueber das erleichterte Ende dieser gemeinsamen Tage und die warme Luft des Nachmittags/

Zigeuner sind Diebe, unehrlich und faul, und in Bulgarien machen sie nicht einmal melancholische oder feurige Zigeunermusik: darum war das auch kein Zigeunerfest, in das wir, muede und hungrig, hineingestolpert sind, sondern ein Dorffest ____ mitten in der Landschaft, mit mitgebrachtem Essen oder gegrillten Fleischbaellchen und Bier, und die grossen Attraktionen waren je ein Ritt auf einem knatternden Motorrad oder auf einem der stolzen Pferde, die beide im Morast des Festplatzes ihre Runden zogen und dann wieder, in der Mitte aufgereiht, von Gaffenden umstanden, auf weitere Ritte warteten. In diesem Fest haben wir einen Platz gefunden, haben gestaunt ueber die aufgeregten Burschen und Maedchen, alle hatten irgendetwas zu tun oder zu schauen, Emilie hat gemeint, es seien auch Jaeger dabei, weil es oefter geknallt hat/

wie haette ich diesen Weg finden koennen allein, ohne Sprache, ich haette bestimmt den allerersten eingeschlagen, der ueber alle Berge fuehrt, und nicht nur ueber 2 oder 3, den wir genommen haben, immerhin etliche Stunden lang, mit allem Gepaeck, aber ich habe verraten, dass der Wald und der von Blaettern ueberdachte ansteigende Weg, an steilen umzaeunten Weiden entlang, mich sehr an meine Heimat erinnert, und habe damit das Waldviertel gemeint, obwohl ich in Wien geboren bin/

die angepriesene Stille und Abgeschiedenheit des Klosters in den Bergen hatte mit der vorbeifuehrenden Strasse und dem benachbarten Gasthaus zu kaempfen, aber die paar Frauen, die sich um die Zimmervermietung kuemmerten oder in der Kirche Vortraege hielten mit lauter Stimme und einem Blick in die Ferne, aus der Zeit heraus: wahrten des Ortes Bestimmung und Lebendigkeit nach Kraeften/
aber diese jungen Menschen, mit denen ich da zu tun bekam: Emilie hatte schon Zuhause einen Vortrag ueber die Kirche vorbereitet, Vladimir hielt ihn und uebersetzte spontan alles fuer mich (habt ihr das schon einmal bei einem Studentenwochenende erlebt?), und alle hatten Proviant mit und teilten alles miteinander geschwisterlich auf diesem ihren Erholungswochenende, eine Ausflugsgruppe sozusagen, im Juli waren sie am Schwarzen Meer gewesen, Georgi trug noch die Zeichen auf der Haut, und die 4 hatten mich kurzerhand adoptiert, wir assen gemeinsam und bezogen den Schlafraum gemeinsam, den sie reserviert hatten, so natuerlich, als waere es ganz selbstverstaendlich, dass 4 Studenten und 1 ausgesetzt Reisender wie alte Freunde auftreten in den Balkanbergen/

das Erstaunlichste war wohl, dass sie alle hervorragend Deutsch oder Englisch sprachen und wir uns unterhalten konnten, als waeren wir uns in der Heimat begegnet/

und als die 4 frohlich schwatzend an mir vorbeitrabten, als ich wegen eines Fotos von den Gleisen im Tal am Strassenrand zu tun hatte, und ich sie spaeter einholte, als sie nun eine Holzbruecke ueber das Fluesschen fotographierten: war es, als haette sie der Himmel geschickt, so ploetzlich/

ich habe noch viele Zuege gesehen heut Nacht, Emilije, und haette mich noch inniger von euch verabschieden sollen, es ist ein bisschen foermlich geworden, wir waren alle erschrocken, was moeglich geworden war zwischen uns/

es war soviel Lachen diese Tage und soviel Ernst, Hinhoeren und Respekt, ja Respekt

Bulgarien



Bulgarien

Freitag, 10. August 2007

Ich atme auf:

das ist nun endlich eine Stadt/ mit allerlei Geraeuschen: irgendwo wird ein Haus gebaut und kreischend ein Balken durchtrennt/ ein Auto rollt ueber das Kopfsteinpflaster und ein alter Mann mit Umhaengetasche klappert mit Schlapfen am Gehsteig und biegt in die Konditorei ein/ ein Flugzeug im Landeanflug/ Radiomusik aus einem Autofenster/ der Geruch perfuemierten Tabaks von einem Kiosk am Fahrbahnrand/ und abwesendes Raunen am Mobiltelefon/

die Allee dieser abschuessigen Nebenstrasse hat ein Klangmuster, mit Windrauschen in den Baumkronen eingerahmt und Gespraechsfetzen verziert, meist nur aus einer Aussage, die Gegenrede ist schon einige Meter weiter/ den Grundton gibt ein Gespraech am Nebentisch in gleichmaessigem Ton/ eine Aussage zur andern, dazwischen Kaffeeschluerfen und Tassenklappern/
ein Dieselmotor tuckert in der Reihe, dann und wann ein Hupton oder eine heruntergeklappte Ladebordwand/

und dann endlich die Strassen: beidseitig mit anstaendig gepflastertem Gehsteig, mitunter sogar in mehreren Pflasterschichten/ 3- oder 4stoeckige Haeuser, die in einer sauberen Reihe stehen/ mancher abgefallene Mauerputz, so wie in einem natuerlichen Wald gebrochene Aeste liegenbleiben duerfen und umgefallene Staemme
besondere Zierde der groesseren Strassen: kantige und bunte Strassenbahnen, die hier sogar in 2 verschiedenen Spurweiten vorkommen
am meisten ueberrascht war ich vom O-Bus, der an der Kreuzung an mir vorbeisirrte (also eine wirkliche Stadt)/

immer wieder Kinderstimmen, Rascheln von Plastiksaecken, Handwagengerumpel, kurzes Aufratschen eines Feuerzeuges, das wiederholte Klatschen einer Faust auf die Handflaeche und schon geraume Zeit der Geruch eines unerlaubten Laubbrandes in einem Hinterhof/
das unhoerbare Flattern einer bulgarischen Fahne, das Knacken eines zugedrueckten Kofferraumdeckels, nachdem die Einkaufstaschen darin verstaut sind, manche flirrende Rettungssirene, aber bisher noch kein einziger Handy-Laeutanschlag/

und dann noch die Staedter: ein jugendlicher Rauschebart in kurzen Hosen, den Rucksack um den Bauch geschnallt, ein dicklichs Paar mit angestrengtem Blick und watschelndem Gang, ein Frauenpaar in angeregten Eroerterungen mit Plastiksaecken, ein junger Vater mit geschulterter Tochter und Frau mit in die Huefte gestuetzter Hand/
der Alte am Nebentisch unterstreicht jedes Wort mit einer ausholenden Gebaerde mit der rechten Hand, an der ein steinebesetzter uebergrosser Ring steckt und ein silbernes Armband und Sonnenbrille auf der Stirn/
junge Frau in Hosen mit quergeguerteter Umhaengetasche, Pferdeschwanz und einige Meter vor ihr wanderndem Blick/
das nicht besonders grosse Wohnhaus gegenueber des Hofes mit 11 Kaminen, 1 Dachfenster, 2 Satelitenempfaengern und etwa 9 unterscheidbaren Antennen/
mancher vereinzelter Vogel dazwischen in der Luft/
ein an der Fassade angebrachter Lautsprecher oder eine Sirene, die aus der Hinterseite einen Gefaengnishof, Schulhof, ein sozialistisches Genossenheim oder einen Fabrikshof macht/
eine Mutter, die ob einer Aeusserung ihrer Tochter mir ins Gesicht laechelt/
auffallend viele junge Frauen mit freien schlanken Schultern und brauner Haut/
entspannte Radfahrer/
ein aelteres Paar, sie mit aufgestecktem dunkelblonden Haar, er vornuebergebeugt, weiss mit langem Zopf/

einen Flieger bleibe ich noch, auch wenn die Sitzplaetze knapp sind und immerfort gewechselt werden:

ein schlacksiger Bursch mit Hakennase und heraushaengendem Hemd, neben Grossmutter, zu ihr heruntergebeugt,
ein Maedchen in Jeans auf der anderen Strassenseite, mit Zopf und fliegenden Haarstraehnen,
ein Mann im Anzug springt aus einem auf der Fahrbahn haltenden Auto, laeuft zum nachkommenden, oeffnet die Tuere und uebergibt einen Plastiksack/

wie viele Menschen mir schon Vertrauen geschenkt haben, und sei es nur kurz/
ich bin besser geworden im Beobachten und in der Knappheit des Ausdrucks/
die heutige Stadtankunft erfolgte nach 6 Std Fahrt von Skopje/ 2 Std Schlaf infolge neugieriger Unterhaltung mit der neben mir sitzenden Frau Universitaetsprofessor fuer Astrophysik ueber Wegeners Kontinentalverschiebungstheorie und die Taetigkeiten eines katholischen Pfarrers/ dann recht desorientiert am Busbahnhof unter gleissend gruenem Neonlicht um 5/6 Uhr/ 2 nicht funktionierende Geldausgabeautomaten/ mehrere vollbesetzte Hotels von der Liste/ ein Bahnhofshotel, wo ich meinen Rucksack einstellte und dann doch noch zufaellig bei der Stadterkundung noch ein Rucksackhotel gefunden, zurueckkehrte und das Gepaeck ueberstellte/ und dann noch 1, 2 Std auf das Freiwerden meines Bettes gewartet, mit angezogenen Beinen auf dem Diwan hockend/ nach Duschen und 1-2 Std Ruhe in die Stadt gegangen, bei angenehmen Spazierwetter/ alles so gefunden wie von der sehr netten Managerin beschrieben/

immer noch kommt es vor, dass ich zu atmen vergesse/
ich habe von jeder waghalsigen Abkuerzung schliesslich wieder zurueckgefunden/
mit einem Wort:
als waere ich in der Stadt geboren

In der orthodoxen Kirche. Sofia, Bulgarien



Maler vor der Synagoge

Sveti Sofia, Sofia, Bulgarien
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