Balkan diesmal

Montag, 13. August 2007

In den Schluchten des Balkan

Bis Mitternacht fliegen hier die Schwalben, sie haben ihre hungrige Brut genau ueber mir: ich sehe die weisse Brust, den schwarzen Kragen, das braeunliche Koepfchen, wahrscheinlich ein schwarzes Kaeppchen, das ist im Neonlicht der Bahnhofsveranda nicht so genau erkennbar/ aber die Flugpausen werden laenger/

ich habe auf den maechtigen Felsen, die das Tal des Lakatnik-Bahnhofes beherrschen, am spaeten Nachmittag noch Kletterer gesehen, sie haben sich von oben abgeseilt/ da waren Emilije & Vladimir, George & George schon im Zug nach Sofia, und ich hatte auf einer Haengebruecke mit auf Eisentraegern geschweissten knirschenden Blechplatten den Fluss ueberquert und von drueben die Bahnstrecke beobachtet/

die letzten Kilometer waren wir auf der Ladeflaeche eines uralten Lastwagen gesessen, juchzend vor Freude ueber das erleichterte Ende dieser gemeinsamen Tage und die warme Luft des Nachmittags/

Zigeuner sind Diebe, unehrlich und faul, und in Bulgarien machen sie nicht einmal melancholische oder feurige Zigeunermusik: darum war das auch kein Zigeunerfest, in das wir, muede und hungrig, hineingestolpert sind, sondern ein Dorffest ____ mitten in der Landschaft, mit mitgebrachtem Essen oder gegrillten Fleischbaellchen und Bier, und die grossen Attraktionen waren je ein Ritt auf einem knatternden Motorrad oder auf einem der stolzen Pferde, die beide im Morast des Festplatzes ihre Runden zogen und dann wieder, in der Mitte aufgereiht, von Gaffenden umstanden, auf weitere Ritte warteten. In diesem Fest haben wir einen Platz gefunden, haben gestaunt ueber die aufgeregten Burschen und Maedchen, alle hatten irgendetwas zu tun oder zu schauen, Emilie hat gemeint, es seien auch Jaeger dabei, weil es oefter geknallt hat/

wie haette ich diesen Weg finden koennen allein, ohne Sprache, ich haette bestimmt den allerersten eingeschlagen, der ueber alle Berge fuehrt, und nicht nur ueber 2 oder 3, den wir genommen haben, immerhin etliche Stunden lang, mit allem Gepaeck, aber ich habe verraten, dass der Wald und der von Blaettern ueberdachte ansteigende Weg, an steilen umzaeunten Weiden entlang, mich sehr an meine Heimat erinnert, und habe damit das Waldviertel gemeint, obwohl ich in Wien geboren bin/

die angepriesene Stille und Abgeschiedenheit des Klosters in den Bergen hatte mit der vorbeifuehrenden Strasse und dem benachbarten Gasthaus zu kaempfen, aber die paar Frauen, die sich um die Zimmervermietung kuemmerten oder in der Kirche Vortraege hielten mit lauter Stimme und einem Blick in die Ferne, aus der Zeit heraus: wahrten des Ortes Bestimmung und Lebendigkeit nach Kraeften/
aber diese jungen Menschen, mit denen ich da zu tun bekam: Emilie hatte schon Zuhause einen Vortrag ueber die Kirche vorbereitet, Vladimir hielt ihn und uebersetzte spontan alles fuer mich (habt ihr das schon einmal bei einem Studentenwochenende erlebt?), und alle hatten Proviant mit und teilten alles miteinander geschwisterlich auf diesem ihren Erholungswochenende, eine Ausflugsgruppe sozusagen, im Juli waren sie am Schwarzen Meer gewesen, Georgi trug noch die Zeichen auf der Haut, und die 4 hatten mich kurzerhand adoptiert, wir assen gemeinsam und bezogen den Schlafraum gemeinsam, den sie reserviert hatten, so natuerlich, als waere es ganz selbstverstaendlich, dass 4 Studenten und 1 ausgesetzt Reisender wie alte Freunde auftreten in den Balkanbergen/

das Erstaunlichste war wohl, dass sie alle hervorragend Deutsch oder Englisch sprachen und wir uns unterhalten konnten, als waeren wir uns in der Heimat begegnet/

und als die 4 frohlich schwatzend an mir vorbeitrabten, als ich wegen eines Fotos von den Gleisen im Tal am Strassenrand zu tun hatte, und ich sie spaeter einholte, als sie nun eine Holzbruecke ueber das Fluesschen fotographierten: war es, als haette sie der Himmel geschickt, so ploetzlich/

ich habe noch viele Zuege gesehen heut Nacht, Emilije, und haette mich noch inniger von euch verabschieden sollen, es ist ein bisschen foermlich geworden, wir waren alle erschrocken, was moeglich geworden war zwischen uns/

es war soviel Lachen diese Tage und soviel Ernst, Hinhoeren und Respekt, ja Respekt

Bulgarien



Bulgarien

Freitag, 10. August 2007

Ich atme auf:

das ist nun endlich eine Stadt/ mit allerlei Geraeuschen: irgendwo wird ein Haus gebaut und kreischend ein Balken durchtrennt/ ein Auto rollt ueber das Kopfsteinpflaster und ein alter Mann mit Umhaengetasche klappert mit Schlapfen am Gehsteig und biegt in die Konditorei ein/ ein Flugzeug im Landeanflug/ Radiomusik aus einem Autofenster/ der Geruch perfuemierten Tabaks von einem Kiosk am Fahrbahnrand/ und abwesendes Raunen am Mobiltelefon/

die Allee dieser abschuessigen Nebenstrasse hat ein Klangmuster, mit Windrauschen in den Baumkronen eingerahmt und Gespraechsfetzen verziert, meist nur aus einer Aussage, die Gegenrede ist schon einige Meter weiter/ den Grundton gibt ein Gespraech am Nebentisch in gleichmaessigem Ton/ eine Aussage zur andern, dazwischen Kaffeeschluerfen und Tassenklappern/
ein Dieselmotor tuckert in der Reihe, dann und wann ein Hupton oder eine heruntergeklappte Ladebordwand/

und dann endlich die Strassen: beidseitig mit anstaendig gepflastertem Gehsteig, mitunter sogar in mehreren Pflasterschichten/ 3- oder 4stoeckige Haeuser, die in einer sauberen Reihe stehen/ mancher abgefallene Mauerputz, so wie in einem natuerlichen Wald gebrochene Aeste liegenbleiben duerfen und umgefallene Staemme
besondere Zierde der groesseren Strassen: kantige und bunte Strassenbahnen, die hier sogar in 2 verschiedenen Spurweiten vorkommen
am meisten ueberrascht war ich vom O-Bus, der an der Kreuzung an mir vorbeisirrte (also eine wirkliche Stadt)/

immer wieder Kinderstimmen, Rascheln von Plastiksaecken, Handwagengerumpel, kurzes Aufratschen eines Feuerzeuges, das wiederholte Klatschen einer Faust auf die Handflaeche und schon geraume Zeit der Geruch eines unerlaubten Laubbrandes in einem Hinterhof/
das unhoerbare Flattern einer bulgarischen Fahne, das Knacken eines zugedrueckten Kofferraumdeckels, nachdem die Einkaufstaschen darin verstaut sind, manche flirrende Rettungssirene, aber bisher noch kein einziger Handy-Laeutanschlag/

und dann noch die Staedter: ein jugendlicher Rauschebart in kurzen Hosen, den Rucksack um den Bauch geschnallt, ein dicklichs Paar mit angestrengtem Blick und watschelndem Gang, ein Frauenpaar in angeregten Eroerterungen mit Plastiksaecken, ein junger Vater mit geschulterter Tochter und Frau mit in die Huefte gestuetzter Hand/
der Alte am Nebentisch unterstreicht jedes Wort mit einer ausholenden Gebaerde mit der rechten Hand, an der ein steinebesetzter uebergrosser Ring steckt und ein silbernes Armband und Sonnenbrille auf der Stirn/
junge Frau in Hosen mit quergeguerteter Umhaengetasche, Pferdeschwanz und einige Meter vor ihr wanderndem Blick/
das nicht besonders grosse Wohnhaus gegenueber des Hofes mit 11 Kaminen, 1 Dachfenster, 2 Satelitenempfaengern und etwa 9 unterscheidbaren Antennen/
mancher vereinzelter Vogel dazwischen in der Luft/
ein an der Fassade angebrachter Lautsprecher oder eine Sirene, die aus der Hinterseite einen Gefaengnishof, Schulhof, ein sozialistisches Genossenheim oder einen Fabrikshof macht/
eine Mutter, die ob einer Aeusserung ihrer Tochter mir ins Gesicht laechelt/
auffallend viele junge Frauen mit freien schlanken Schultern und brauner Haut/
entspannte Radfahrer/
ein aelteres Paar, sie mit aufgestecktem dunkelblonden Haar, er vornuebergebeugt, weiss mit langem Zopf/

einen Flieger bleibe ich noch, auch wenn die Sitzplaetze knapp sind und immerfort gewechselt werden:

ein schlacksiger Bursch mit Hakennase und heraushaengendem Hemd, neben Grossmutter, zu ihr heruntergebeugt,
ein Maedchen in Jeans auf der anderen Strassenseite, mit Zopf und fliegenden Haarstraehnen,
ein Mann im Anzug springt aus einem auf der Fahrbahn haltenden Auto, laeuft zum nachkommenden, oeffnet die Tuere und uebergibt einen Plastiksack/

wie viele Menschen mir schon Vertrauen geschenkt haben, und sei es nur kurz/
ich bin besser geworden im Beobachten und in der Knappheit des Ausdrucks/
die heutige Stadtankunft erfolgte nach 6 Std Fahrt von Skopje/ 2 Std Schlaf infolge neugieriger Unterhaltung mit der neben mir sitzenden Frau Universitaetsprofessor fuer Astrophysik ueber Wegeners Kontinentalverschiebungstheorie und die Taetigkeiten eines katholischen Pfarrers/ dann recht desorientiert am Busbahnhof unter gleissend gruenem Neonlicht um 5/6 Uhr/ 2 nicht funktionierende Geldausgabeautomaten/ mehrere vollbesetzte Hotels von der Liste/ ein Bahnhofshotel, wo ich meinen Rucksack einstellte und dann doch noch zufaellig bei der Stadterkundung noch ein Rucksackhotel gefunden, zurueckkehrte und das Gepaeck ueberstellte/ und dann noch 1, 2 Std auf das Freiwerden meines Bettes gewartet, mit angezogenen Beinen auf dem Diwan hockend/ nach Duschen und 1-2 Std Ruhe in die Stadt gegangen, bei angenehmen Spazierwetter/ alles so gefunden wie von der sehr netten Managerin beschrieben/

immer noch kommt es vor, dass ich zu atmen vergesse/
ich habe von jeder waghalsigen Abkuerzung schliesslich wieder zurueckgefunden/
mit einem Wort:
als waere ich in der Stadt geboren

In der orthodoxen Kirche. Sofia, Bulgarien



Maler vor der Synagoge

Sveti Sofia, Sofia, Bulgarien

Donnerstag, 9. August 2007

Bekenntnisse eines Reisenden I

Warum Reisen fasziniert, warum ich mich diesen Tortouren aussetze und mich nicht wie andere vernuenftige Leute mit einem Bade- oder Wanderurlaub begnuege. Und ob denn soetwas gar erholsam sei.

Das haben meine Mitarbeiter schon beantwortet, die mittlerweile fuer meine Rueckkehr leere Schreibtische und vorsichtig beschriebene Terminkalender bereithalten:
Ich komme beladen und brennend.

Dabei ist mir Reisen nichts anderes als jegliches Leben, wie es mir zufaellt:
Eine Erprobung, eine Bewahrheitung. Meine Verkuendigung bekommt Farbe.
Der Fussballer Prohaska hat, als er noch genialer Mittelfeldregisseur war, gesagt, er entscheide sich niemals fuer den einfachsten und naheliegenden Pass, sondern immer fuer den schwierigeren, unerwarteten.
Wie soll ich bleiben an irgendeinem Badestrand zwischen Adria und Schwarzem Meer, wenn die Unruhe mich fuert, in der sich fremde Staedte ankuendigen, neue Fragen.

Du kommst an einen Ort und musst etwas anfangen koennen.
Heute, nach der umstaendlichen Suche, dann endlich mit vollem Gepaeck in der Gluthitze des fruehen Nachmittags bei der Jugendherberge angekommen: nichts frei, die trockene Auskunft, auf meine unglaeubige Nachfrage ebenso trocken widerholt/ waehrend gegenueber entspannt das Paerchen aus dem Autobus sass und, wenn ich mich nicht taeusche, noch gegrinst hat.
Im Restaurant um die Ecke noch einmal die Hotellisten, bei einem Glas Fruchtsaft, und dem naemlichen Rezeptionisten unbeeindruckt an der Theke lehnend./
Wieder zurueck zum Bahnhof, ein Taxi, eine Adresse, und schon wieder: ein ahnungsloser Fahrer, kennt die Strasse nicht, kann nicht Karten lesen, fragt, sucht, ich fuehre ihn schliesslich (und zahle nur die Haelfte).
Und da nunmehr die Frage, unerbittlich: Diese Stadt will mich nicht, geh weg. Warum fahre ich nicht gleich weiter und spare Zeit, was haelt mich noch hier.

Dass man so denken kann, das ist dieses Reisen.
Und dass es dann anders kommt.

Denn das winzige tuerkische Hotel ist ein Segen, auch der junge Besitzer. Er traegt mir den Rucksack hinauf und serviert mir Tee aus seinem Teehaus nebenan. In seiner tuerkischen Sprache erzaehlt er mir, dass er 1991, noch in Jugoslawien, zu einem Weinernteeinsatz nach Oesterreich gekommen ist: Krems, Langenlois, Strass, Hadersdorf. Er zeigt mir das Abschneiden der Trauben, den Bottich, den Traktor und die Presse. In der Unterstadt von Skopje.
Ich war schnell vertraut mit Skopje, wenigstens mit der Altstadt. (Ich beginne immer beim Alten)
Und das ist jetzt mein Reisen:
Eine Zwiesprache, ein Fragen und Antworten, ein Gang auf weichem Grund, der manchmal traegt und manchmal nachgibt.


Dieser Grund ist meine Heimat, vielleicht versteht man das einmal Zuhause, nicht das, wo ich aufgewachsen bin und dessen Abdruck mein Herz ist, oder wo ich jetzt lebe. In der Fremde ausgesetzt, ist mir Fenster zu diesem Grund.

Und wer mir nicht glaubt:
Als ich auf die Erde gekommen bin, hat in Makedonien der Boden so gewackelt, dass halb Skopje ohne Dach vor dem Himmel war. Den Bahnhof haben sie so gelassen, zusammen mit der Uhr, in dieser Zeit, und einen neuen gebaut. Was wird sein an dem Tag, da ich sterbe. Wird dann alles aufstehen.

Felsenkirche Sveti Atanas bei Struga, Mazedonia

Sveti Bogorodica Pervilepta, Ohrid

Ohrid, Mazedonia

Die Burg Zar Samuils, im Reich von Ohrid, 10. Jht

Sveti Kliment, Ohrid, Mazedonia

Romasiedlung in Skopje, Mazedonia

Burg von Skopje, Mazedonia

Mutter Teresa aus Skopje

Dienstag, 7. August 2007

4. So viele Gesichter

begegnen mir heute am Korso, ganz mitteleuropaeische, oder tuerkische mit dunklen Augenbrauen in hohen Boegen, dunkle Hautfarben wie bei Roma, oder kahlgeschorene Schaedel auf Stiernacken wie Tschetniks des 20. Jhts, schlanke Maedchen mit Wespentaillen oder in weisse Kaftene geknoepfte mit hellen Kopftuechern, aus denen sie nirgendwo hinblicken, aber am Basar mit flinken Fingern in den Bergen glitzernder Ketten oder Stoeckelschuhe wuehlen.

Das alles ist so unbeschreiblich verschieden und unvereinbar, dass ein so alltaegliches und harmloses Ineinanderfliessen wie unter dem heutigen verhangenem Himmel nur verstehbar ist durch die unsichtbare Naehe des Todes, der das Auseinanderklaffende wieder zusammenfuehrt und aufhebt in einer Eindeutigkeit und Entschiedenheit, zu der das heutige Lebendige noch nicht imstande ist, jedenfalls nicht mit diesem Geist.

Auch Danilo Kis weiss das, wenn er die Bedeutung so verschiedener Menschenleben zuletzt zusammenfuehrt in einem Grabmal, oder Cioran, der Denker der Verzweiflung, oder Paul Celan, der dem Unsagbaren das Wort leiht, und auch Elias Canetti, der vor der Macht der Masse erschauert. Ich bin sogar gespannt, ob in Ovids Verwandlungen, die an Rumaeniens Schwarzmeerkueste entstanden, ein solches fraglos Eindeutiges auszumachen ist, auf dem das Auseinanderfallende der Erscheinungen sicher aufruhen kann.

Wir werden sehen.


DSC05914

Struga, Mazedonia

3. Die stille Naehe des Todes

die Sytki erschauern liess, als er von der angeblichen Todesverachtung der albanischen Bergbewohner berichtete, mit denen ich auf meiner abenteuerlichen Rueckfahrt von Theth in Beruehrung gekommen war, als der riesenhafte Beifahrer vor dem johlenden Buspublikum Zoten zum Besten gab, einem die Rakiflasche abnoetigte, daraus tiefe Zuege nahm, auch dem Fahrer aufzwaengte, der mit den rumpligen Kurven entlang steiler Abhaenge seine liebe Not hatte, und ihn zuletzt, der selbst kein Schwaechling war, immer wieder anstiess, boxte und maltraetierte, bis ihn endlich, als die gefaerlichsten Passagen hinter uns lagen, sein ebenso huehnenhafter kleinerer Bruder in die zweite Sitzreihe beorderte und den hilflosen Vater auf den Beifahrersitz zwaengte, alles waehrend der Fahrt, versteht sich.
Vor diesem Bruder, dessen langer Zopf vor meiner Nase gebaumelt harre, war ich schon am Anfang dieser Fahrt ob seines tierischen Gebruells erschrocken, und ich hatte seinem spaeteren Besaenftigungswillen nicht trsauen wollen und empfand die schliessliche Ruhigstellung des Tobenden, sich kindlich Gebaerenden, der zu seinem grindenden Einlenken immer wieder einen Kuss eines Maedchens, eine Zigarette oder eine Umarmung des Vaters verlangte, wie einen Spaziergang auf einem Vulkan.

Theth, in Albaniens Bergen im Norden

Der mitteleuropaeische Mensch scheint viel staerker domestiziert, und er lockert nur mehr bei Besaeufnissen und wilden Autofahrten seine Fesseln, um nach dem Kater wieder in seine Spiessige kleinbuergerliche Welt zurueckzukehren, noch harmloser als zuvor, und ohne Glauben daran, dass es auch anders sein koennte.

Der Balkan scheint dagegen von so vielen Rissen gespalten zu sein, dass mindestens 2 oder 3 durch jedes Herz gehen.

Das Ausmass der Fraglichkeit Mazedoniens etwa, das nicht weiss, ob es ein Land oder ein Volk ist, und welches,
das sich auf Alexander den Grossen zurueckfuehrt wie die Griechen, das einen Namen fuehrt, den auch die Griechen beanspruchen, und dessen Reich von Ochrid, das Zar Samuil im 10. Jht errichtete, heute von den Bulgaren als deren Geburtsstunde betrachtet wird.
Im Kongress von Stefano zwischen Bulgarien und Serbien, im Berliner Kongress wieder zurueck an die Osmanen, im 1. Balkankrieg unter allen Nachbarstaaten, im 2. an Serbien verteilt und schliesslich zu einem Bruderstaat in Jugoslawien gemacht> 1991 war es als einziges Land ohne Blutvergiessen unabhaengig geworden von Jugoslawien, und als einziges Balkanland stellt es keine Grossreichansprueche wie Albaner, Bulgaren, Serben oder Kroaten.

2. Ismael Kadare

hat mich auf die Spur gebracht, als er die Steine seiner Heimatstadt und derer Enver Hodgas erzaehlen liess von der wechselnden Herrschaft der Osmanen, Italiener, Griechen, Englaender, Deutschen und Kommunisten>

Die fast verlassene Stadt wurde besetzt.
Spaeter erfuhr man, dass eben zu jener Zeit, als die Panzer bestialisch heulend die Strasse der grossen Bruecken heraufrollten, zwischen Tante Xhemo und der Weisen Frau Shano folgender Wortwechsel von Fenster zu Fenster stattgefunden hatte>
Warum machen die nur so viel Laerm. Die koennten ruhig etwas leiser einziehen, beschwerte sich Tante Xhemo.
Die alte Shano antwortete>
Sie machen immer so ein Spektakel, wenn sie kommen. Nur wenn sie gehen, ist nicht mehr viel von ihnen zu hoeren.


In dem staetischen Gespinst von Personen und Figuren, die sich ahnungslos und aberglaeubisch den verschiedenen Herrschaften beugen, ohne ihnen zu glauben, bleiben immer wieder einige zurueck im staendigen Wechsel, in dem die neue Grausamkeit stets die alte uebertrifft. Zuletzt haben sich auf wunderbare Weise alle daran gewoehnt, dass nicht nur fremde Voelker, sondern schon die Nachbarn und eigenen Familienmitglieder jederzeit den TOD bringen koennen.

1. An diesem verregneten Tag

in Struga, Mazedonien, am Ufer des Ochrid-Sees, der zwischen zwei heutigen Balkanstaaten liegt, beginnt sich mir ein durch Jahrhunderte verworrenes Balkanbild aufzuklaeren, das vielleicht fuer das Widerspruechliche alles Irdischen stehen koennte.

Sechs Tage atme ich nun Balkanluft, die Bahnfahrt durch Italien eingerechnet, wo kein Zug unter einer Stunde Verspaetung hatte und ich so jegliche Anschluesse versaemte, was immer einen Aufpreis zur Folge hatte, in modernsten Triebwagengarnituren, wo in 10 oder 12 klimatisierten Wagons insgesamt gerade 1 WC benuetzbar war, wenn man gewillt war, durch Urin zu waten und den Gestank zu ertragen.

Die freundliche Hafenstadt Durres, das geschaeftige Tirana mit seinen ehrgeizigen Hochbauten aus Beton, Glas und Aluminium, oder das vernachlaessigte Shkoder, hinter dessen bruechigen Fassaden langsam die unvermeidlichen Betonskelette wachsen.

Roemisches Amphitheater in DURRES, Albanien

Im Zentrum von TIRANA



Alles das war mir verbunden durch die unverbruechliche Freundschaft einiger Kuenstler und Archaeologen, die heute im Land verstreut leben und die mein Besuch nach 10 Jahren wieder zusammengefuehrt hatte. Sytkis Merzedes und Adnans unwiderstehliche Ironie, Gezims klares Urteil ueber sein Land und seine Ausgrabungen und Agrons ruhige Klarheit halfen ueber jegliches Auseinanderklaffendes hinweg>
Sei es ueber die beiden von arabischen Brudervoelkern nach dem Krieg errichteten riesigen Moscheen inmitten struppiger Gaerten, in denen sich eine Handvoll Glaeubige zum Gebet trafen,
Sei es der geduldig sich in die Berge schlingende Saumweg, ueber den ein Kleinbus 3 Stunden lang erst hinauf, spaeter wieder zurueck rumpelte und so tief katholische Alpendoerfer, in denen das Kanun herrschte, das alte albanische Stammesrecht, mit der allgemeinen Gesetzlosigkeit der Ebenen verband, in denen jeder sich holte, was zu holen war:
in den 90er Jahren die Arsenale der Kasernen, heute Grund und Boden ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe, um darauf eines von Zehntausenden neongelber oder pastellrosa Legohaeuschen zu errichten.

Theth, in Albaniens Bergen im Norden

Grosse Kuenstler und ich: Agron Mesi, Adnan Bushati

Gezim Hodga fuhrt Adnan und Sytki durch die Ausgrabung des roemischen Lezhe

Ausser Haeuschen und Tankstellen, Banken und Lagerhallen waechst kaum etwas hier, sagt Gezim, ein Haendlervolk, das nichts produziert, eine Wirtschaft, die auf Luft baut, wie die Pyramidenspiele, die 1997, bei meinem ersten Besuch, gerade unter heftiger Anteilnahme der auf den Strassen versammelten Massen zusammengebrochen waren.

Strasse in Shkoder, Albanien

Strasse in Shkodra

Strasse in Shkodra

Albanien ist wunderschoen geworden, schwaermt verliebt mein Sitznachbar mit schweizerischem Akzent, und sieht patriotisch als Eines, was unueberbrueckbare Widersprueche sind. Und er hat recht, weil er jung ist wie ein Grundwehrdiener, und zwei kleine Kinder hat und eine Frau, die aussieht wie Angelina Jolie und kein einziges Mal gelacht hat waehrend der 5 Stunden Busfahrt von Tirana nach Struga, ich hab sie zwischen den Sessellehnen genau beobachtet.

Toleranz hatte er es genannt wie die von aufgeklaerten Deutschen verfassten Reisefuehrer, was in der Sprache des Glaubens nur Schwaeche des Bekenntnisses ist>
  • in Villach schon allgemeine Gutmuetigkeit, in Verbindung mit einem irgendwie vorhandenen Familienleben und dem Nichtausschluss der Existenz eines Hoeheren Wesens, das zuletzt schon seinen Segen dazugeben wird zu dem, was sie eigenmaechtig angerichtet haben wie zur Speisensegnung,
  • in Albanien eben die familiaere Gemeinschaft von Moslems, Orthodoxen und Katholiken, die das friedliche Interesse an ihrer unmittelbaren Realitaet sowie die Ahnungslosigkeit ueber ihre eigene Religion gemeinsam haben, kein Gebet kennen, aber einander heiraten und begraben wie in alten Tagen.

Montag, 6. August 2007

Rinnende Zeit

Ein trueber, verregneter Tag, und die Zeit laeuft ganz anders. Im Kies der Strandpromenade ist sie versickert. Mit Seelenruhe schieben junge Leute Kinderwagen unter verhangene Himmel Mazedoniens, und alte Maenner lotsen eine Kindergruppe am Ufer entlang. Der Ochrid-See ist besaenftigt, der Ausgleich zwischen Oben und Unten hat stattgefunden.
Der Basar von Struga lockt mit Pfirsichen und Marillen, Nuessen und Kaese. Ich habe die kleine orthodoxe Kirche besucht, in der noch Weihrauchdunst haengt und die Neonbeleuchtung den Blick auf die Ikonostase lenkt, aus denen Jesus, Maria und der heilige Georg aus slawischen Gesichtern freundlich schauen. Aber die ohnehin geschwaerzten Wandbilder mit Heiligenlergenden und der Paradieserzaehlung, in denen in Fensterausschnitten die uebermalten aelteren Schichten zum Vorschein kommen, sind gerade noch zu erkennen. Sie Pfarrerfrau beobachtet mich argwoenisch und erlaubt kein Foto.

Die Tage mit Adnan und Sytki waren voller Lachen. Am letzten gemeinsamen Tag in Shkoder sassen wir um 9 im Cafe, assen Reis mit Kebab, Kaese und Yoghurt zum Fruehstueck, und als Sytki Zahnstocher verlangte, erzaehlte Adnan von den Kebabs zwischen seinen Zaehnen, die er immer bei sich trage. Ich solle bald wiederkommen, riefen sie mir zu, als sie mich und mein Gepaeck im Bus verluden, nicht erst wieder in 10 Jahren.

Der Regen ist wie ein Satzzeichen in der Himmelssprache dieser Tage.
Du nimmst, was dir gegeben wird wie diese Tage in der vernachlaessigten Stadt Albaniens, in der die bruechigen Haeuser nur 10 Jahre aelter geworden sind inzwischen, genauso wie ich all die Faecher meiner Umhaengetasche erst nach und nach entdeckt habe, als ich sie schon laengst besass.

In den braunen Pfuetzen mit den Ringen schwimmt heut Vormittag meine Sprache.

Aber ich braeuchte meine ganze Sprache, um hinter dem orangenen Fiat ohne Kennzeichen, der vor meinen Augen herumkurvt, oder hinter dem adretten Doppelzimmer, das wir zu Mitternacht gefunden haben, als uns zwei Fremde der Bus bei Regen an der Hauptstrasse vor Struga ausgespuckt hat - und wo zu fruehstuecken ich mich erst nach einem kleinen Stadtrundgang entschliessen konnte| ja hinter all dem einen Willen zu erkennen, einen Zusammenhang und Sinn, und dann auch den richtigen Zeitpunkt, um das Cafe zu verlassen, in dem ich hier gestrandet bin vor Stunden im immer staerkeren Regen.
Wozu also.

Die Zeit rinnt heute von oben nach unten.

Montag, 30. Juli 2007

Meine künftige Balkan - LESEreise

1. Albanien
Durres – Tirana
Lit:
Ismael Kadare, Chronik in Stein;
Fatos Kongoli, Die albanische Braut

2. Mazedonien
Ohrid-See – Skopje

3. Kosovo
Prishtina – Kosovska Mitrovica

4. Serbien
Nis – Beograd / Vukovar
Lit:
Charles Simic, Mein lautloses Gefolge
Danilo Kis, Ein Grabmahl für Boris Dawidowitsch; Anatomiestunde
Milo Dor, Die Schüsse von Sarajevo

5. Bosnien-Herzegovina:
Sarajevo
Lit:
Dzevad Karahasan, Das Buch der Gärten

6. Bulgarien
Sofia – Ruse
Lit:
Elias Canetti, Die gerettete Zunge

7. Rumänien
Bukarest – Konstanza – Donaudelta – Sibiu - Bukowina
Lit:
Christoph Ransmayr, Die letzte Welt;
Ovid, Metamerphosen;
E.M. Cioran, Auf den Gipfeln der Verzweiflung; Der Absturz in die Zeit
Edgar Hilsenrath, Jossel Wassermanns Heimkehr
Mihai Eminescu, Der Abendstern

8. Ukraine
Czernovitz
Lit:
Paul Celan, Ausgewählte Gedichte; Fadensonnen
Rose Ausländer, Regenwörter
Alexander Puschkin, Eugen Onegin

Freitag, 6. Juli 2007

Was alles in einem Jahr

geschehen wird oder geschehen ist, in einem einzigen Blick zu haben, die Aufführung mit dem selbstkomponierten Lied, der gelungene Ausflug, der geschriebene Text von den Romananfängen, der Leser gefunden hatte, das Gespräch mit wenigen Worten und viel Zusammengehörigkeit (das wohl nicht), der Kuß auf die Wange mit den Sommersprossen. Aber es wird in solchen Abständen geschehen oder geschehen sein, dass es kaum wahrgenommen wurde, weil sogleich etwas anderes dagewesen war, ein Anspruch, eine Sorge.
Und ist hier im Il Principe zu sitzen in Jeans und Sommerhemd und Sandalen, mit einem Glas Rotwein, und Ransmayr zu lesen und die Gedanken auf Reisen zu schicken, etwa schlechter oder weniger, als in der Trattoria in Limnos auf Kreta, wo ich Christa Wolf und Kassandra nachgefahren war, oder in Kali Limenes, diesem stillen, menschenleeren Campingplatz, an dessen Strand einst Paulus gelandet war?
Diesmal werd ich Naso nachfahren, Publius Ovidus Naso, dem Verbannten, und werde wie dieser nicht wissen, was Heimat ist, wenn man dort nicht sprechen darf, und sein wie man selbst.
Auch das Il Principe hat Gerüche, von einem Pizzaofen im Garten kommen Schwaden von Fischgeruch oder von frischem Brot, und das ausgelassene, nein verbissene Gelächter vom Nachbartisch, das zu weit auffahrende Gedanken bremst, könnte ja in jedem Land sein.

Also auch das eine Frage des Geistes: wo du bist, und wobei.

Cioran wird mich lehren, dass Gültiges durchs Feuer der Verzweiflung geläutert wird, dass kein Halt ist, keine Gewißheit, keine Ruhe – was heißt lehren, warum mich.
Muß ich also noch reisen?
Ich WILL
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ferne

Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.

2 Kor 16f

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